Anhänger des Fussballclubs Grasshopper Zürich würden wohl sagen, Micheil Kawelaschwili habe bereits vor Jahren die Grenzen des Anstands überschritten. Der Mittelstürmer wechselte 1999 von GC direkt zum Erzrivalen FC Zürich. Heute ist Kawelaschwili in seiner Heimat Georgien als schroffer Politiker bekannt, der sich gerne vulgär ausdrückt – und der wohl bald Präsident des Landes ist.
Kawelaschwili ist nicht der erste Athlet in den Reihen der Regierungspartei «Georgischer Traum»: Ringkämpfer und Gewichtheber vertreten die Partei, und ein weiterer Fussballer, der langjährige AC Mailand-Verteidiger Kacha Kaladse, ist heute der einflussreiche Bürgermeister der Hauptstadt Tiflis.
Die sagen sich: 'Oh, der war ein guter Fussballer, und ich mag ihn, also wähle ich ihn.' So funktioniert das schon seit Jahren.
Die Regierung stelle gerne bekannte Sportler als Kandidaten auf, um vor allem politikverdrossene Menschen für sich zu gewinnen, erklärt der georgische Fussballjournalist Luka Lagwilawa.
Andere Qualitäten führten zu Kawelaschwilis Erfolg
Kaladse etwa komme aus einer wirtschaftlich abgehängten, ländlichen Region, wo die Menschen wenig Vertrauen in die Politik hätten. «Die sagen sich: 'Oh, der war ein guter Fussballer, und ich mag ihn, also wähle ich ihn.' So funktioniert das schon seit Jahren», so Lagwilawa.
Aber Bidsina Iwanischwili, der Oligarch und Gründer des ‹Georgischen Traums›, rekrutiert gerne Sportler, die aufbrausend sind, die aggressiv gegen die Opposition wettern. Menschen mit kleinen Gehirnen und grossen Fäusten.
Kawelaschwilis Karriere als Fussballer war allerdings nicht so glänzend wie die des Bürgermeisters Kaladse. Seinen Status als Präsidentschaftskandidat der Regierung hat er anderen Qualitäten zu verdanken.
«Kawelaschwili war in der Bevölkerung nicht besonders bekannt oder beliebt», sagt David Dartschiaschwili, Politologie-Professor an der Staatlichen Ilia-Universität in Tiflis. «Aber Bidsina Iwanischwili, der Oligarch und Gründer des ‹Georgischen Traums›, rekrutiert gerne Sportler, die aufbrausend sind, die aggressiv gegen die Opposition wettern. Menschen mit kleinen Gehirnen und grossen Fäusten.»
Künstliche Opposition ermöglichte Abkehr von Europa
Micheil Kawelaschwili wurde 2016 Abgeordneter des «Georgischen Traums». Schon bald fiel er auf: Im Parlamentssaal pöbelte er oft gegen Vertreter der Opposition. Er positionierte sich am rechten Flügel der Regierungspartei, machte Stimmung gegen Migranten und queere Menschen. 2022 aber war er einer von drei Abgeordneten des «Traums», die sich abspalteten und die neue Partei «Macht des Volkes» gründeten. Sie erklärten dies damit, sie wollten endlich die Wahrheit sagen können – nicht über ihre alte Partei, sondern über Georgiens westliche Partner.
«Iwanischwili hat die neue Partei als Scheinopposition aufgestellt», sagt Professor David Dartschiaschwili. «Einerseits wolle er den ‹Georgischen Traum› vernünftig aussehen lassen, im Gegensatz zu diesen Hardlinern. Aber er wollte auch den Boden bereiten für die Abkehr des ‹Georgischen Traums› von Europa. Echte Parteien waren mit dieser Position nicht weit gekommen. Also hat Iwanischwili eine künstliche gründen lassen.»
Micheil Kawelaschwili hat sich in dieser Rolle offenbar bewährt. Der «Georgische Traum» will einen Präsidenten, der loyal ist – auch wenn das Amt in Georgien vor allem symbolisch ist. Die scheidende Präsidentin Salome Surabischwili war einst auch die Kandidatin des «Traums» – heute stellt sie sich gegen die Partei und weigert sich, ihr Amt zu verlassen.
Geht es nach dem «Georgischen Traum», wird Kawelaschwili kurz vor Silvester vereidigt. Dann hat Georgien womöglich eine Präsidentin und einen Präsidenten. Von ihrem Fussballer kann sich die Partei aber absolute Treue versprechen.