Präsident Emmanuel Macron versuchte politisch meist den Spagat zwischen links und rechts. So auch im Migrationsgesetz, das die Regierung ursprünglich präsentiert hatte. Einerseits war eine härtere Linie bei der Migration vorgesehen, andererseits eine bessere Integration von Migrantinnen und Migranten. Von diesen Integrationsmassnahmen ist nach der Beratung im Parlament aber wenig übriggeblieben. Die harte Linie hat sich durchgesetzt. Die Regierung hat das Migrationsgesetz schon früh zu einer Schlüsselfrage stilisiert. Nun hat sie das Gesicht gewahrt und bezahlt einen hohen Preis dafür.
Das neue Gesetz ist das Resultat eines intensiven Seilziehens im Parlament. In der ersten Runde hatte die Rechte im Senat die Vorschläge der Regierung verschärft. Sie kürzte soziale Leistungen, die Frankreich in den vergangenen Jahrzehnten geschaffen hatte: etwa den Anspruch auf medizinische Betreuung oder Sozialhilfe für Familien in prekären Verhältnissen. Auch das bisher geltende «Droit du sol» wird abgeschafft: Kinder, die in Frankreich geboren werden, erhalten nicht mehr automatisch die Staatsbürgerschaft.
Misstrauensabstimmung
Regierungslager und Linke zogen den Entwurf für die Nationalversammlung anschliessend wieder in die andere Richtung. Die meisten Verschärfungen wurden aus dem Gesetzesvorschlag gestrichen. Doch dann stellte die Linke in der Nationalversammlung einen Rückweisungsantrag und die Rechte zog begeistert mit. Die harte Fassung des Migrationsgesetzes blieb so auf dem Tisch und die Regierung stand im Regen: Die Rückweisung durch die Nationalversammlung war mehr eine Misstrauensabstimmung als ein Votum über das Migrationsgesetz.
Für die Regierung wurde das Migrationsgesetz so zur Prestigesache, die sie nur mit Unterstützung der Rechten ins Ziel bringen konnte. Diese hatte in der dritten Runde beim Seilziehen ums Migrationsgesetz viel mehr Zug als die Regierung und konnte das Gesetz nun in den meisten Punkten wieder in ihrem Sinne umschreiben.
Für die konservativen Républicains ist das Migrationsgesetz ein Anlass zum Triumphieren. Das Seilziehen im Parlament zeigt, dass Präsident Macron praktisch nur noch mit Unterstützung der Rechtspartei regierungsfähig ist und sich dabei an deren rote Linien halten muss.
Marine Le Pen kann sich freuen
Im Hintergrund hat auch Marine Le Pen allen Grund zur Freude. Das neue Gesetz erfüllt nun zahlreiche Forderungen, die ihr Rassemblement National schon stellte, als die Partei noch Front National hiess und von allen anderen Parteien gemieden wurde.
Frankreichs Innenminister hat unmittelbar nach der Abstimmung festgehalten, die Abstimmung wäre auch ohne Rassemblement National so ausgegangen. Umso schlimmer für die Regierung: Emmanuel Macron hatte sich als Wahlkämpfer immer als Bollwerk gegen die Partei von Marine Le Pen angepriesen. Nun setzt seine Regierung deren Programm gleich selber um.
Beim Seilziehen um das neue Migrationsgesetz ist Regierung nach rechts gestolpert. Was die Opposition auf der linken wie der rechten Seite freut. Denn mit diesem Schritt hat der Präsident das Gesicht verloren auch vor eigenen Leuten. Sie zweifeln zunehmend, dass Emmanuel Macron den versprochenen Spagat zwischen links und rechts schafft und kündigen dem Präsidenten die Gefolgschaft auf. So wie Gesundheitsminister Rousseau, den Präsident Macron erst kürzlich ins Amt berufen hatte. Nach der Abstimmung im Parlament hat er den Rücktritt eingereicht, weil er die Abstriche im Gesundheitswesen nicht mittragen will.