Javier Milei ist für Argentinien das, was Donald Trump für die USA ist: brachial, polarisierend und provokant. Er ist bekannt für seine Wutreden. Am WEF in Davos hielt er denn auch eine Laudatio für den Kapitalismus. Wir haben vier Punkte seiner Rede auf ihre Richtigkeit geprüft.
Behauptung eins: Argentinien florierte ab 1860 unter dem Kapitalismus
Mileis Wortlaut: «Als wir diese Version der Freiheit 1860 angenommen haben, konnten wir innerhalb von wenigen Jahrzehnten zu einer wichtigen Weltmacht werden.»
Faktencheck: Stimmt fast. Die frühere spanische Kolonie erlangte 1816 als Vereinigte Provinzen des Río de la Plata die Unabhängigkeit und 1860 ihre Verfassung. Das zweitgrösste Land Südamerikas öffnete sich schnell für europäische Einwanderinnen und Einwanderer, die dem sich entwickelnden Nationalstaat einen Wirtschaftsboom bescherten. Der lateinamerikanische Staat war damals durch Getreide- und Rindfleischexport zu einem der reichsten Länder der Welt geworden. In den vierzig Jahren vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs, also etwa ab den 1870ern wuchs die Wirtschaft so schnell wie in keinem anderen Land.
Behauptung zwei: Der Kapitalismus beendet Armut
Mileis Wortlaut: «Nach der industriellen Revolution hat sich das weltweite Bruttoinlandprodukt verfünfzehnfacht. Das heisst, dass fast 90 Prozent der Weltbevölkerung aus der Armut befreit werden konnten.»
Faktencheck: So einfach ist es nicht. Milei bezieht sich hier wohl auf das sogenannte Ravallion-Diagramm, das beweisen soll, dass der Kapitalismus Armut beseitigt. Es beginnt im Jahre 1820 und zeigt den Anteil in extremer Armut lebender Menschen auf der Welt, die weniger als 1.90 Dollar Kaufkraft pro Tag zur Verfügung haben.
Dagegen sprechen folgende Fakten: Bis 1981 beziehen sich die Daten, auf denen das Diagramm beruht, auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP). Selbst angebaute Nahrung taucht etwa nicht auf. Dazu kommt, dass der Zusammenhang zwischen BIP und Versorgungslage empirisch widerlegt ist.
Es gibt zwar auch Studien, die aufzeigen, dass die extreme Armut seit 1820 deutlich abgenommen hat. Sie stützen sich dabei aber auf Zahlen der Weltbank, die die Schwelle für extreme Armut bei unter 1.90 Dollar pro Tag ansetzt. Das sichert bestenfalls ein Überleben.
Behauptung drei: Eingreifen des Staates hat immer negative Konsequenzen
Mileis Wortlaut: «Das Eingreifen eines Staates hat immer negative Konsequenzen. Es führt zu einer Abwärtsspirale, in der der Staat immer mehr eingreifen muss. Die Leute werden ärmer, die Lebensverhältnisse schlechter.»
Faktencheck: Stimmt nicht. Länder wie Schweden, in denen der Staat im Sinne Mileis mittels Gesetzen relativ stark in die Wirtschaft und die soziale Gesellschaft eingreift, gehören zu den erfolgreichsten und reichsten der Welt.
So reguliert Schweden etwa den Arbeitsmarkt mit Tarifübereinkünften und Arbeitsprogrammen und er greift auch im Gesundheitssektor ein. Trotzdem liegt das durchschnittliche bereinigte verfügbare Haushaltsnettoeinkommen pro Kopf deutlich höher als der OECD-Durchschnitt. Zudem hat Schweden nach dem Best Countries Ranking 2023 mit die höchste Lebensqualität der Welt.
Behauptung vier: Argentinier werden immer ärmer
Mileis Wortlaut: «Tag für Tag werden Argentinier ärmer.»
Faktencheck: Stimmt. Die Inflationsrate Argentiniens steigt seit 2020 kontinuierlich und lag im Dezember 2023 bei 211.4 Prozent. Das bedeutet, dass das Geld immer mehr an Wert verliert, wodurch die argentinische Bevölkerung de facto ärmer wird.