In Burma hat sich das Militär an die Macht geputscht. Die zivile Führung um De-Facto-Regierungschefin Aung San Suu Kyi wurde entmachtet und unter Hausarrest gestellt. Heute hätte in Burma das neugewählte Parlament erstmals zusammenkommen sollen.
Das Militär akzeptiert den klaren Sieg von Suu Kyis Partei «Nationale Liga für Demokratie» (NLD) aber nicht und spricht von Wahlbetrug. Christine Schraner Burgener ist UNO-Sonderbeauftragte für Burma. Sie fürchtet, dass sich die Demokratisierungsbemühungen im Land zerschlagen könnten.
SRF News: Sie haben eine unruhige Nacht hinter sich, führen Gespräch um Gespräch. Mit wem verhandeln Sie denn momentan?
Christine Schraner-Burgener: Auf meiner Prioritätenliste steht derzeit zuoberst, dass wir die Gefangenen freibekommen. Ich muss den Kontakt zur Armee wieder herstellen. Ich hatte noch am Sonntagmorgen Kontakt mit ihr, zu dem Zeitpunkt war noch alles ruhig. Auf meine neuerlichen Kontaktversuche hat die Armee noch nicht reagiert. Ich werde es aber weiter versuchen. Natürlich bin ich auch in engem Kontakt mit UNO-Generalsekretär António Guterres in New York. Er hat ein ganz klares Statement abgegeben, dass er den Putsch aufs Schärfste verurteilt.
Hatten Sie auch die Möglichkeit, mit Mitgliedern der Regierungspartei zu sprechen, vielleicht auch persönlich mit Suu Kyi?
Das habe ich in der Nacht sofort versucht. Da schienen aber schon alle Internetverbindungen von der Armee gekappt geworden zu sein. In der Hauptstadt Naypyidaw ging gar nichts mehr und ich konnte niemanden mehr dort erreichen. Ich war froh, dass zwei meiner Mitarbeiter in Yangon sind. Mit ihnen bin ich praktisch alle fünf Minuten im Kontakt.
Was erzählen Ihnen diese Leute über die Situation im Land?
Im Moment scheint es auf den Strassen relativ ruhig zu sein. Wir befürchten ja, dass die Anhänger der NLD, die die Wahlen haushoch gewonnen hat, sich auf die Strasse begeben und protestieren. Dann könnte es dazu kommen, dass ihnen Armee, Anhänger der ihr nahestehenden Oppositionspartei USDP und radikale Buddhisten gegenüberstehen. Das muss verhindert werden, weil es zu Gewalt führen würde.
Das Militär sagt, bei den Wahlen im November sei es zu Unregelmässigkeiten gekommen: Gibt es dafür tatsächlich Hinweise oder Beweise?
Das Schlussresultat war unbestritten und korrekt, das haben auch Wahlbeobachter bestätigt. Der Armeechef war extrem enttäuscht über den Wahlausgang. Anscheinend hatte er damit gerechnet, dass die USDP die Mehrheit holen würde. Der Armeechef hat dann moniert, es habe Diskrepanzen in den Wählerlisten gegeben. Die Wahlkommission habe dazu keine genauen Antworten gegeben.
Die Situation war immer sehr schwierig für Suu Kyi. Von aussen betrachtet ist das nicht immer ganz einfach zu verstehen.
In einem Statement sprach der Armeechef nun davon, dass dies der Hauptgrund für den Putsch gewesen sei. Aufgrund der mangelhaften Erklärung zu den vermeintlichen Diskrepanzen müsse man die Wahlkommission reformieren und das Wahlresultat müsse erneut überprüft werden. Es soll nun einen Ausnahmezustand für ein Jahr geben – in diesem Jahr will der Armeechef die Wahlen nachholen lassen. Die siegreiche Partei soll dann die Macht zurückerhalten. Das ist ganz klar inakzeptabel.
Suu Kyi galt lange als Hoffnungsträgerin für eine Demokratisierung von Burma. Sie hat auch den Friedensnobelpreis erhalten. In den letzten Jahren ist sie international aber immer mehr in die Kritik geraten, weil sie sich zu wenig vom Militär distanziert haben soll – und weil sie in einem Völkermord-Verfahren in Den Haag die Genozid-Vorwürfe an den Rohingya zurückwies. Warum ist sie dem Militär in Burma nun offenbar doch zu unbequem?
Das Militär war ständig unbequem. Es hat gemäss Verfassung noch immer 25 Prozent der Parlamentssitze inne und besetzt drei der wichtigsten Ministerien. Suu Kyi hat versucht, sich an die Gesetze und die Verfassung zu halten. Hätte sie das nicht gemacht, wäre die Armee gegen sie vorgegangen. Die Situation war also immer sehr schwierig für sie. Von aussen betrachtet ist das nicht immer ganz einfach zu verstehen.
Das Leben von Aung San Suu Kyi in Bildern
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Bild 1 von 18Legende: Aung San Suu Kyi mit ihren Eltern 1947: Geboren wurde sie 1945 in Rangun, Britisch-Birma (Burma). Trotz 15 Jahre Hausarrest unter der Militärjunta sagt sie: «Ich mag die Armee.» Ihre Zuneigung liegt in ihrer Geschichte: Ihr Vater, General Aung San, gilt als der Gründer der burmesischen Armee. Für den Vater seien die Soldaten wie Söhne gewesen. Keystone
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Bild 2 von 18Legende: Suu Kyis Vater, General Aung San, wird bis heute in Burma als Nationalheld verehrt, der das Land in die Unabhängigkeit führte. Aung San wurde zwei Jahre nach der Geburt seiner Tochter 1947 während einer Kabinettssitzung ermordet. Verantwortlich für das Attentat waren politische Widersacher. Wikipedia
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Bild 3 von 18Legende: Die kleine Aung San Suu Kyi 1948 (links im Bild) mit Lord Louis Mountbatten, Gouverneur von Indien, und seine Ehefrau Edwina: Suu Kyi wuchs in Indien auf. Ihre Mutter war die erste weibliche Botschafterin Burmas und war zu der Zeit in Indien stationiert. Keystone
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Bild 4 von 18Legende: Nach Abschluss der obligatorischen Schulzeit in der indischen Hauptstadt Neu-Delhi ging Aung San Suu Kyi nach England. Dort studierte sie an der Universität Oxford. 1967 schloss sie ihr Studium mit einem Bachelor in Philosophie, Politik und Wirtschaft ab. Im Bild: Aung San Suu Kyi, im Alter von sechs Jahren (1951). Wikipedia
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Bild 5 von 18Legende: 1972 heiratete Suu Kyi den britischen Tibetologen Michael Aris, mit dem sie zwei Söhne hat. 1974 zog das Ehepaar nach Oxford, wo Aris eine Anstellung als Professor hatte. Keystone
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Bild 6 von 18Legende: 1988 kehrte die 43-jährige Suu Kyi wegen ihrer kranken Mutter nach Burma zurück. Zuvor hatte sie in Indien, Grossbritannien und den USA gelebt. In Burma zurück erlebte sie blutige Aufstände und den Sturz der alten Militärjunta. Drei Wochen später folgte die nächste Militärdiktatur. Fortan setzte sie sich für die Demokratisierung Burmas ein. Reuters
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Bild 7 von 18Legende: Im September 1988 wurde die Nationale Liga für Demokratie (NLD) gegründet. Aung San Suu Kyi übernahm den Parteivorsitz. Keystone
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Bild 8 von 18Legende: Die Militärregierung lehnte demokratische Bewegungen jedoch ab. Im Februar 1989 verbot sie die NLD. Im Juli wurde die 44-jährige Aung San Suu Kyi unter Hausarrest gestellt. Begründung: Die NLD-Parteivorsitzende gefährde die staatliche Sicherheit. 1990 gewann die NLD die Wahlen. Das Ergebnis wurde von den Militärmachthabern aber nicht anerkannt. Reuters
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Bild 9 von 18Legende: In ihrem Haus in Rangun verbrachte Aung San Suu Kyi ihren Hausarrest. Reuters
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Bild 10 von 18Legende: 10. Dezember 1991: Michael Aris, Aung San Suu Kyis Ehemann, nimmt mit den gemeinsamen Söhnen den Friedensnobelpreis für sie in Empfang. Suu Kyi befürchtete, dass ihr die Wiedereinreise nach Burma verweigert würde, falls sie selbst nach Oslo reise. Der Preis wurde ihr «für ihren gewaltlosen Kampf für Demokratie und Menschenrechte» verliehen. Reuters
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Bild 11 von 18Legende: Am 10. Juli 1995 wurde der Hausarrest gegen Aung San Suu Kyi nach rund sechs Jahren scheinbar aufgehoben. Ihr Bewegungsspielraum blieb aber für mindestens vier weitere Jahre eingeschränkt. Journalisten und UNO-Mitglieder durften sie mehrfach besuchen. Ihren Ehemann aber sah sie bis zu seinem Tod am 27. März 1999 nicht mehr. Reuters
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Bild 12 von 18Legende: Auch Ihren Sohn Kim Aris hatte sie jahrelang nicht mehr gesehen. Kim konnte seine Mutter Aung San Suu Kyi erstmals im November 2010 in Burma besuchen. Seit seinem letzten Besuch waren mehr als 10 Jahre vergangen. Reuters
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Bild 13 von 18Legende: Nach etlichen Arresten und Inhaftierungen konnte Aung San Suu Kyi im April 2012 erstmals bei den Nachwahlen für einen Parlamentssitz teilnehmen. Ihre Nationale Liga für Demokratie (NLD) gewann 43 der 45 frei gewordenen Sitze. Am 2. Mai 2012 legte Suu Kyi ihren Eid als Abgeordnete ab. Seit März 2013 ist Suu Kyi wieder die Parteivorsitzende der NLD. Keystone
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Bild 14 von 18Legende: Am 22. Oktober 2013 überreicht der Präsident des EU-Parlaments Martin Schulz Suu Kyi den Sacharow-Preis. Das Parlament hatte ihr die Auszeichnung für ihren Einsatz für die Menschenrechte im Jahr 1990 verliehen. Damals stand sie unter Hausarrest. Reuters
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Bild 15 von 18Legende: 8. November 2015: Aung San Suu Kyis Partei NLD gewinnt die ersten freien Wahlen in Burma seit 25 Jahren. Die 70-Jährige darf selber nicht Präsidentin werden. Das verhindert die Verfassung des Landes. In der neuen Regierung übernimmt Suu Kyi den eigens für sie geschaffenen Posten der Staatsberaterin. Zudem wird sie Aussenministerin. Reuters
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Bild 16 von 18Legende: Suu Kyi trifft im November 2018 US-Vizepräsident Mike Pence in Singapur. Keystone
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Bild 17 von 18Legende: Aung San Suu Kyi bei der Stimmabgabe bei den Wahlen am 29. Oktober 2020. Reuters
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Bild 18 von 18Legende: Aung San Suu Kyi besucht Ende Januar 2021 eine Impfstation in einem Spital. Keystone
Sie haben gesagt, der Militärputsch sei ein schwerer Rückschlag für die Demokratisierungsbemühungen in Burma. Was ist Ihrer Meinung nach jetzt zu befürchten?
Dass wir wieder auf Feld 1, also auf den Stand des Jahres 2011, zurückversetzt werden. Das Land hat 50 Jahre Diktatur hinter sich. Wir befürchten, dass alle Versuche, das Land zu demokratisieren, wieder zerschlagen werden. Und mit ihnen die positiven Aktionen, die seit den Wahlen stattgefunden haben. Ich war sehr hoffnungsvoll, als wir einen Waffenstillstand zwischen den Rebellen der Arakane Army und der Armee in Rakhine erreichen konnten. Damit wollten wir die Rückführung der Rohingyas ins Auge fassen. Das steht nun auch wieder in Frage.
Das Gespräch führte Brigitte Kramer.