Vigdis Finnbogadottir war 1980 die erste durch das Volk gewählte Präsidentin Islands und der Welt. Dreimal wurde die ehemalige Leiterin des Reykjaviker Stadttheaters wiedergewählt, bis sie 1996 in den wohlverdienten Ruhestand ging. Ihre Wahl war auch eine Folge des ersten grossen internationalen Frauenstreiks in Island 1975.
Seither haben sich die Kräfteverhältnisse im Inselstaat zwischen Männern und Frauen zunehmend ausgeglichen. Seit drei Jahren heisst die isländische Ministerpräsidentin Katrin Jakobsdottir, sie leitet ein Kabinett aus sieben Ministerinnen und sieben Ministern.
Internationale #metoo-Konferenz in Island
Letztes Jahr berief Jakobsdottir Gleichberechtigungsministerinnen und -minister aus der ganzen Welt zu einer internationalen Konferenz in die isländische Hauptstadt Reykjavik zum Thema #metoo. Dabei machte sie gleich in ihrer Begrüssungsrede darauf aufmerksam, dass sexuelle Übergriffe auch in Island immer noch zur Tagesordnung gehörten.
«Wir müssen endlich aufhören, als Opfer von Übergriffen still zu bleiben», erklärte Jakobsdottir und traf damit gerade im kleinen Island, in dem viele Menschen miteinander verwandt sind oder sich zumindest als Familien gut kennen, einen wunden Punkt.
In der Folge tragen in Island zahlreiche Frauen unter dem Hashtag #metoo an die Öffentlichkeit und berichteten von ihren eigenen Erfahrungen mit Übergriffen und Belästigungen.
Böser Verdacht gegen Ex-Aussenminister
Dabei hat ein Fall für ganz besonders grosse Aufmerksamkeit gesorgt: In einem gemeinsamen Aufruf machten im Frühjahr 23 Frauen darauf aufmerksam, dass sie vom langjährigen früheren Aussenminister Jon Baldvin Hannibalsson sexuell belästigt beziehungsweise missbraucht worden seien.
Viele dieser Frauen haben im Zuge des #metoo-Aufrufes der Ministerpräsidentin auch Schritte in die Öffentlichkeit gewagt, so etwa die Nichte Hannibalssons, Gudrun Hardardottir: «Als ich zehn Jahre alt war, bekam ich den ersten Brief von ihm», berichtete Hardardottir kürzlich im isländischen Radio.
Der damalige Parteichef der isländischen Sozialdemokraten habe dabei auf sie bezogene pornografische Inhalte beschrieben.
Jon Baldvin Hannibalsson wies bislang alle Beschuldigungen kategorisch zurück und drohte allen direkten Klägerinnen und den Medien, die darüber berichten, mit juristischen Schritten. Die Berichte der Frauen seien reine Fiktion, betonte der heute 81 Jahre alte Politiker vor kurzem.
Prozess gegen den 81-Jährigen
In dieser Woche nun beginnt der Prozess gegen Hannibalsson vor dem Rejkjaviker Amtsgericht. Die Staatsanwaltschaft hat Anklage gegen das frühere Regierungsmitglied wegen mehrfachen Übergriffen und Belästigungen erhoben.
Es ist dies der erste #metoo-Prozess gegen einen so mächtigen Mann in Island. Der Fall macht deutlich, dass auch ein in Sachen Gleichberechtigung sehr fortschrittliches, aber kleines Land wie Island, in dem viele Dinge innerhalb von Familien geschehen, ein strukturelles Problem mit sexueller Gewalt haben kann.
Laut Regierungschefin Jakobsdottir handelt es sich letztlich um ein kulturelles Problem. Das Schweigen der Opfer müsse ein Ende haben, betonte sie am internationalen #metoo-Forum vor einem Jahr. Der Fall Hannibalsson zeigt nun: Das Schweigen hat ein Ende.