Papst Franziskus wird in der Provinz Alberta als Erstes den Standort einer ehemaligen «Residential School» besuchen. Es gilt als sicher, dass er sich bei den Ureinwohnern – bei den First Nations, den Inuit und den Métis – entschuldigen wird. Bereits im Frühling hat sich Franziskus in Rom ein erstes Mal für die Mitschuld von katholischen Geistlichen entschuldigt.
Jetzt, in Kanada, müsse der Papst weitergehen, sagt der Parlamentarier Charlie Angus von der linken «New Democratic Party»: «Der Papst muss anerkennen, dass die Kirche benutzt wurde, um die indigene Identität zu zerstören, dass sie Teil eines geplanten kulturellen Genozids war, ausgeführt von Staat und Kirche. Er kann sich nicht nur für einzelne Geistliche entschuldigen.»
Es ist unklar, wie viele der rund 150'000 indigenen Kinder in den Schulen starben. Es waren auf jeden Fall Tausende, davon zeugen auch Hunderte mutmassliche Kindergräber, die rund um die Schulen entdeckt werden. «Die Kirche und der Vatikan sitzen auf Tausenden Dokumenten, die zeigen, was den Kindern zugestossen ist», sagt Angus, ein prominenter Advokat der Ureinwohner. Die Kirche müsse diese Dokumente aushändigen.
Der Papst muss anerkennen, dass die Kirche Teil eines geplanten kulturellen Genozids war. Er kann sich nicht nur für einzelne Geistliche entschuldigen.
Tanya Talaga, eine prominente indigene Journalistin und Autorin, fordert den Papst auch auf, die zahlreichen indigenen Kulturgegenstände zurückzugeben, die im Vatikan lagern: Masken oder sogenannte Wampum-Gürtel. «Früher wurden unsere Zeremonien verboten, unsere Artefakte gingen verloren», sagt Talaga. «Der Vatikan hat eine ganze Sammlung davon. Es wäre ein Zeichen des guten Willens, wenn der Papst all diese Objekte zurückgeben würde.»
In den «Residential Schools» sollte die indigene Identität ausgelöscht werden, die Ureinwohner sollten sich in die Gesellschaft der weissen Kolonialisten einfügen. 2015 kam der Bericht einer «Wahrheits- und Versöhnungskommission» zum Schluss, dass es sich dabei um einen kulturellen Genozid gehandelt hatte – im Auftrag des Staates. Unterernährung, Krankheiten und Missbrauch waren weit verbreitet.
Hohe Erwartungen an den Papst
Ab 2007 wurden den Überlebenden Entschädigungen gezahlt. Auch die katholische Kirche in Kanada versprach, 25 Millionen Dollar beizusteuern. Bis heute hat sie nur einen Bruchteil davon aufgebracht. Auch damit dürfte sich der Papst konfrontiert sehen, wenn er zu Besuch ist.
Manche erwarten von Franziskus aber auch, dass er die sogenannte «Entdeckungs-Doktrin» verwirft: Legitimiert durch päpstliche Urkunden nahmen sich europäische Kolonialisten das Land, auch in Kanada. Bis heute basiere das kanadische Recht darauf – und auf diesen uralten päpstlichen Bullen, sagt Bruce McIvor, Anwalt und Historiker mit indigenen Wurzeln.
«Wir nennen das heute in Kanada Geltendmachung der Souveränität der Krone. Das heisst: Die Kolonialisten konnten einfach auftauchen, das Land beanspruchen und es gehörte ihnen.» Es sei wichtig, dass der Papst diese Entdeckungs-Doktrin zurückweise. Das würde Druck auf die kanadische Regierung erzeugen, erklärt McIvor.
Entschuldigung wohl erst der Anfang
Bei seiner letzten Station, hoch im Norden bei den Inuit in Nunavut, dürfte sich Papst Franziskus schliesslich mit einem weiteren Vorwurf konfrontiert sehen: Die katholische Kirche decke Priester, die sich an Kindern vergangen hätten – einer davon in Nunavut.
Er lebe heute unbehelligt in Frankreich, sagt Parlamentarier Charlie Angus. «Man wird den Papst fragen, ob er bei der Auslieferung des Priesters nach Kanada hilft.» Wenn sich also der Papst diese Woche entschuldigt, dürften viele Indigene sagen: Gut so. Aber das ist nur ein Anfang.