Das Boot liegt am Strand, das Holz ist morsch, die Farbe blättert ab. Kinder spielen darauf. Vor über einem Jahr ist es in der Provinz Aceh angekommen. Auf dem Boot war auch Obaidur Rahman. Der 19-Jährige zeigt auf den Bootsrand. Hier sei er gesessen und habe ausgeharrt.
«Auf halber Strecke mitten im Ozean ging der Treibstoff aus. Wir mussten mehrere Tage warten, bis ein anderer Schlepper kam.» Ausserdem habe es zu wenig Nahrung und Trinkwasser gegeben. Er habe er die ganze Zeit über Angst gehabt.
Flucht aus dem grössten Flüchtlingscamp der Welt
Es kommen längst nicht alle Boote an. Einige sinken mitten im Meer. Auch Obaidurs Reise haben nicht alle überlebt. Zwei Menschen seien unterwegs gestorben, erzählt er. Nach einem kurzen Bestattungsritual habe die Besatzung die Leichen ins Meer geworfen.
Sieben Jahre lang lebte Obaidur in Bangladesch im grössten Flüchtlingslager der Welt, im berüchtigten Cox's Bazar. Die Lage sei von Tag zu Tag schlimmer geworden, sagt er.
Am Sandstrand in Aceh stehen einfache Hütten, einige sind mit blauen Plastikplanen abgedeckt. Nur wenige Meter vom Meer entfernt. Hat er sich das Leben hier so vorgestellt? Er bereue die riskante Fahrt, sagt Obaidur. Über ein Jahr ist er jetzt schon hier an der Küste. Er weiss nicht, wie lange er noch bleiben muss.
Geburt im Lager
Indonesien hat die UNO-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet. Obaidur hat hier keinen legalen Status – und darf auch nicht arbeiten. Neben den provisorischen Unterkünften gibt es auch zwei von der Regierung anerkannte Flüchtlingslager in der Region.
In einem treffen wir Alamgir und seine Familie. Der 24-Jährige stammt ebenfalls aus Myanmar. Auch er floh zuerst nach Bangladesch. Man habe ihm geraten, nach Indonesien zu gehen. Dort sei es besser, erzählt er.
Alamgir stieg mit seiner schwangeren Ehefrau in ein Boot. Ihre Reise dauert viel länger als jene von Obaidur. Fast einen ganzen Monat. Kurz nach der Ankunft kommt die gemeinsame Tochter zur Welt. Im Januar wird sie ihren ersten Geburtstag feiern. Hinter den Mauern des Flüchtlingslagers.
Ursprünglich wurden die Rohingya in der Provinz Aceh von der Bevölkerung willkommen geheissen. Ende vergangenen Jahres kippte die Stimmung. Es kam zu Protesten gegen ankommende Boote und Vorwürfen, dass die Rohingya zu viele Ressourcen verbrauchten.
Hasskommentare im Netz
Hasskommentare seien viral gegangen, sagt Mitra Salima Suryono vom UNO-Flüchtlingshilfswerk UNHCR. Inzwischen hätten die negativen Onlinekommentare zum Glück stark abgenommen. Und doch haben sie das Bild vieler Indonesierinnen und Indonesier von den Rohingya geprägt.
Kurz nach unserem Besuch meldet sich mitten in der Nacht Obaidur Rahman via Whatsapp. Die Hütten und Zelte am Strand werden vom Meerwasser unterspült. Die Menschen sind wach, sie bringen ihre Sachen vor dem Wasser in Sicherheit.
Die Rohingya werden sich selbst überlassen. Auf Nachfrage heisst es beim UNHCR, die Lage so nah am Meer sei nicht ideal. Das UNHCR ist auf die Behörden vor Ort angewiesen. Mitra Salima Suryono äussert sich diplomatisch. Man führe Gespräche mit den lokalen Behörden und hoffe, dass sich die Situation bald verbessere.
Das ist dringend nötig. Seit Oktober ist das Meer ruhiger. In den kommenden Monaten werden wieder vermehrt Boote unterwegs sein. Mit Menschen, die alles riskieren, und auf die dennoch eine ungewisse Zukunft wartet.