Den Ton an der Münchner Sicherheitskonferenz setzte Antonio Guterres: Zwar gebietet seine Rolle als UNO-Generalsekretär, nicht alle Hoffnung fahren zu lassen, weshalb er noch immer glaubt oder glauben will, dass es nicht zum Krieg kommt: «Doch wenn es zum Krieg kommt, wäre das katastrophal.» Dieser Tenor prägte Reden, Debatten, Gespräche.
Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz, gewiss kein Heisssporn, drückte es so aus: «In Europa droht wieder ein Krieg. Es liegen alle militärischen Kapazitäten für eine Aggression gegen die Ukraine vor – das ist ein Fakt.»
US-Vizepräsidentin Kamala Harris sah bei ihrem ersten Auftritt auf der grossen internationalen Bühne «die Grundlagen für Europas jahrzehntelange Sicherheit bedroht». Falle Russland ein in die Ukraine, werde der Schock die ganze Welt erschüttern, formulierte der britische Premierminister Boris Johnson.
Westen hat Vorkehrungen getroffen
Bis vor kurzem liess sich ein gewisser Alarmismus auf westlicher Seite der Absicht zuschreiben, die Reihen zu schliessen und die vier Jahre lang durch Ex-Präsident Donald Trumps Abrissbirne bedrohte Nato wieder zusammenzuschweissen. Doch inzwischen ist der Schulterschluss gelungen, zumindest für den Moment. Alarmismus ist überflüssig.
Wenn der Kreml weniger Nato will, so hat er mit der Bedrohung der Ukraine das Gegenteil erreicht und bekommt nun mehr Nato.
Total auf dem falschen Fuss, wie 2014 bei der russischen Annexion der Krim, lässt sich der Westen diesmal nicht erwischen. Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg findet: «Wenn der Kreml weniger Nato will, so hat er mit der Bedrohung der Ukraine das Gegenteil erreicht und bekommt nun mehr Nato.» Die EU habe ebenfalls Vorkehrungen getroffen. Auch für den Fall, dass Russland abrupt sämtliche Energielieferungen stoppe, betonte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
Die USA sind sogar überzeugt, Russlands Staatschef Wladimir Putin habe sich bereits für eine Invasion entschieden. Für Kamala Harris ist «das russische Drehbuch geschrieben: Vorwände fabrizieren für einen Einmarsch, Desinformation, Propaganda, sich unwissend stellen und unschuldig geben… Doch der Westen wird handeln», sagte sie – und nicht würde handeln.
Wir sind nicht in Panik, lassen uns nicht provozieren: Die Ukraine will Frieden, Europa will Frieden, Russland sagt, es wolle nicht einmarschieren – irgendjemand lügt hier.
Leidenschaftliche Rede von Selensky erntet Applaus
Gelassenheit versuchte dagegen der ukrainische Präsident Wolodimir Selensky auszustrahlen, natürlich auch zuhanden des Heimpublikums: «Wir sind nicht in Panik, lassen uns nicht provozieren: Die Ukraine will Frieden, Europa will Frieden, Russland sagt, es wolle nicht einmarschieren – irgendjemand lügt hier.» Kein anderer Gast in München erhielt stehenden Applaus. Der gelte nicht ihm, meinte Selensky, sondern der Ukraine und den ukrainischen Soldaten.
Seine Rede war leidenschaftlich, mit Vorwürfen an die Adresse des aus Kiewer Sicht gegenüber Moskau noch immer zu lauen Westens. Er sprach von Kindern im Osten seines Landes, die derzeit Angst haben müssten – dabei wollten sie gar nicht in die Nato, sondern bloss zur Schule.
Diplomatisches Fenster ist klein
Worauf Amerikaner ihre Gewissheit stützen, Putins Invasionsentscheidung sei gefallen, ist unklar. Geheimdiensterkenntnisse und zunehmend auch Informationen aus frei zugänglichen Quellen geben zwar ein präzises Bild, was die Kremlführung militärisch tun könnte. Was sie letztlich tun wird, lässt sich daraus nicht ablesen.
Die Vorzeichen sind düster.
Solange diese Unsicherheit bleibt, gibt es noch ein diplomatisches Fenster. Allerdings ein kleines. «Die Vorzeichen sind düster», sagte Boris Johnson. Seine Worte kann man zwar nicht auf die Goldwaage legen. Aber hier hat er recht.