Irgendwie muss man ja mal anfangen. Darum leitet in Thüringen der Alterspräsident die konstituierende Sitzung nach den Wahlen. Das gibt keinen Streit, es ist noch nicht politisch. Der Alterspräsident soll nur organisieren, dass ein Landtagspräsident gewählt werden kann. Zumindest war das bislang so.
In Thüringen ist die Alternative für Deutschland die stärkste Partei – und zufälligerweise hat sie mit dem 73-jährigen Mathematiker Jürgen Treutler auch den ältesten Abgeordneten. Er wurde neu gewählt, war noch nie im Landtag. Darum bekam Treutler von einigen Landtags-Angestellten einen zweistündigen Crash-Kurs, um ihn auf seine erste Aufgabe als Alterspräsident vorzubereiten.
Nichts davon aber tat Treutler. Er wurde schon in den ersten Minuten politisch, hielt eine längliche Rede, warf die Tagesordnung über den Haufen, lehnte Anträge von Parlamentarierinnen und Parlamentariern ab. Überschritt nach Ansicht von Verfassungsrechtlern seine Kompetenzen.
Chaos und Nazi-Anspielung
Sofort lagen die Nerven blank im Erfurter Landtag. «Machtergreifung!», rief ein CDU-Abgeordneter in die Runde. Der maximale Vorwurf gleich zu Beginn, drunter gings nicht. Der Mann spielte auf die «Machtergreifung» Hitlers am 30. Januar 1933 an. An diesem Tag wurde Hitler Kanzler, es begann die Nazi-Herrschaft, die Verfolgung, der Terror, die Diktatur.
Der Ton also war gesetzt, mehrmals wurde die Sitzung unterbrochen, nun beschäftigt sich das Verfassungsgericht mit dem Fall, es prüft, unter welchen Bedingungen ein Landtagspräsident gewählt werden soll. Etwas, das in der Thüringer Verfassung nicht zu 100 Prozent geregelt ist – es war bisher Tradition und Gebot des Anstands, diese Wahl einvernehmlich durchzuführen, im politischen Wettstreit. Es steht schliesslich auch nicht in der Verfassung, Schlägereien bitte zu unterlassen oder keine harten Drogen zu konsumieren im Parlament. Es gab Dinge, die waren allen klar. Eben als Gebot des Anstands.
Die AfD versucht nun, alles auf den Kopf zu stellen. Das Hohe Haus ins Chaos stürzen, «die parlamentarische Demokratie ad absurdum zu führen», wie es ein Kommentator nannte. Um dann, wenn alles durcheinandergerät, als starke und ordnende Kraft aufzutreten, quasi als Messias in der Hölle.
Provokationen werden zum Alltag
Nur: All das sah man kommen. Der Rechtsextreme Björn Höcke, AfD-Fraktionschef im Landtag, schimpft schon lange gegen die heutige Demokratie, gegen die «Eliten», die da oben, die Deutschland hassten.
Es gab in Thüringen sogar einen Antrag der Grünen, die konstituierende Sitzung nicht von der an Jahren ältesten Person zu leiten – sondern von jenem Abgeordneten, jener Abgeordneten, die am längsten im Parlament sitzt. So hätte man das jetzige Chaos elegant umschiffen können. Der Deal kam aber nicht zustande. Die CDU wollte nicht. Und reibt sich jetzt die Augen.
Eine starke Alternative für Deutschland wird die parlamentarische, die ganze politische Landschaft gerade im Osten Deutschlands weiter verändern und vor sich hertreiben, die Provokationen werden zum Alltag. Man kann das beklagen, man kann das beängstigend und schockierend finden aus vielen guten Gründen. Aber alle, die politisch auf der anderen Seite der AfD stehen, und das sind auch in Thüringen fast 70 Prozent, müssen sich besser wappnen, strategisch denken.
Irgendwie muss man aber mal anfangen damit.