Israel setzt nach dem beispiellosen Terrorschlag der Hamas die Raketenangriffe auf den abgeriegelten Gazastreifen fort. Laut UNO-Nothilfebüro sind von den rund 2.2 Millionen Menschen bisher 340'000 aus ihren Wohnungen geflüchtet. Wie die palästinensischen Zivilisten evakuiert werden könnten, ist unklar. Einzige Option wäre zurzeit der Grenzübergang Rafah nach Ägypten, wie SRF-Nahostkorrespondent Thomas Gutersohn berichtet.
SRF News: Ägypten hat der UNO zugesichert, den Grenzübergang Rafah zu öffnen. Offenbar verhandelt Kairo noch mit den USA. Wo ist das Problem?
Thomas Gutersohn: Ägypten ist bereit, Hilfslieferungen nach Gaza zu bringen, wartet aber noch auf das Einverständnis Israels. Unklar bleibt, ob Ägypten Flüchtlinge aus Gaza aufnehmen kann oder will. Kairo befürchtet einen grossen Flüchtlingsstrom. Aus dem Libanon und Jordanien ist bekannt, dass palästinensische Flüchtlinge kaum jemals wieder zurückgeschickt werden können. Zudem befürchtet Ägypten Hamas-Kämpfer unter den Flüchtlingen. Die Hamas gilt in Ägypten als Terrororganisation, weil sie den verbotenen Muslimbrüdern nahesteht.
Die Arabische Liga tagte gestern zum Thema Israel und Hamas. In welchen Punkten ist man sich einig?
Die Arabische Liga verurteilt die Gewalt Israels im Gazastreifen einstimmig und fordert einen sofortigen Stopp der Militäraktionen und Verhandlungen in Richtung einer Zweistaatenlösung. Der Prozess soll mit dem politischen Büro der Palästinenser, also mit der PLO unter Mahmud Abbas, aufgenommen werden und nicht mit der Hamas.
Die Arabische Liga ist gespalten in zwei Lager. Wie argumentieren diese?
Die beiden Lager sind vor allem gespalten in Bezug auf die Aktion der Hamas. Länder, die sich Israel angenähert haben, wollen jetzt vor allem auf eine Deeskalation setzen. Es sind dies unter anderem die direkten Nachbarn Ägypten und Jordanien, die einen Flüchtlingsstrom befürchten, aber auch die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Marokko und Sudan.
Das andere Lager ohne Annäherung an Israel steht voll und ganz hinter der Hamas. Dazu gehört etwa Syrien, und auch im Irak hört man viel Unterstützung für die Palästinenser. Andere Länder versuchen, einen Mittelweg zu gehen. Sie sehen den Angriff der Hamas als eine Folge der israelischen Besatzungspolitik der vergangenen Jahrzehnte. Da ist allen voran Katar federführend. Aber auch Saudi-Arabien ist der Auffassung, dass der Gewaltausbruch vermeidbar gewesen wäre, hätte Israel Verhandlungen mit den Palästinensern geführt.
Iran und Saudi-Arabien stehen als muslimische Regionalmächte in Konkurrenz, wobei ersteres die militante Hisbollah im Libanon kontrolliert. Sind das die beiden Schlüsselplayer?
Beide Länder sind wichtige Akteure in der Region und gleichzeitig auf Annäherungskurs. Irans Präsident Ebrahim Raissi und der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman führten Telefongespräche über die aktuelle Krise. Mit ihrem Einfluss auf die Hisbollah könnte Iran wesentlich dazu beitragen, den Konflikt entweder eskalieren zu lassen oder zu deeskalieren. Die Saudis als sunnitische Grossmacht könnten ebenfalls ihr Gewicht einbringen. Ein wichtiger Player ist auch Katar, das gute Beziehungen zur Hamas hat. Katar stellt sich immer wieder als Vermittler zwischen der Hamas und Israel dar und ist zurzeit in Verhandlungen über einen möglichen Gefangenenaustausch involviert.
Das Gespräch führte Ivana Pribakovic.