Maurizio Intisio trinkt einen Espresso. Doch eigentlich wollte er Dinge aus seiner Wohnung holen; seinen Ausweis, seine Lesebrille – begleitet vom Zivilschutz. Doch derzeit ist selbst das zu gefährlich.
Ich wurde unter der Brücke geboren, habe stets dort gelebt.
«Nichts kann man holen. Einsturzgefahr» – Intisio sagt, «Ich wurde unter der Brücke geboren, habe stets dort gelebt.» Ein Leben mit der Brücke. Angst habe er schon lange gehabt, aber auch viel Ärger wegen des Staubs. «Zweimal am Tag musste ich Staubwischen.» Die Autos und vor allem die Lastwagen, die Tag und Nacht über die Brücke donnerten, wehten ihm, seiner Frau und seiner Tochter täglich Schmutz in die Wohnung. Jetzt leben sie provisorisch bei Verwandten.
Mario Gatti trinkt seinen Kaffee unter einem grossen Ventilator, der die schwüle Hitze der Bar gleichmässig verteilt. Auch Gatti wohnt schon lange im Quartier, doch gerade so weit von der Brücke entfernt, dass seine Wohnung sicher ist.
Wer Italien kennt, weiss, dass es nicht Monate sondern Jahre dauern wird.
Froh ist Gatti trotzdem nicht. Politiker versprechen zwar, die Brücke innert Monate wiederaufzubauen, doch das glaube er nicht. «Wer Italien kennt, weiss, dass es nicht Monate, sondern Jahre dauern wird.» Hier sei nicht nur die Brücke morsch, auch den öffentlichen Verkehr, Grünflächen und Schulen habe man vernachlässigt.
Sein bitteres Fazit: Selbst in Libyen sei es besser. Auch in Libyen gebe es eine Brücke von Architekt Riccardo Morandi. Nur hätten die libyschen Behörden die Gefahr erkannt und die Brücke rechtzeitig gesperrt.
Auch Alessio, der Besitzer der Bar, macht sich Sorgen: «Seit dem Einsturz gibt es hier weniger Leute.» Das heisst für ihn: weniger Kunden. Das halbe Quartier wurde leergeräumt. Durchgangsverkehr gibt es gar keinen mehr.
Und vor Alessios Bar sind Arbeiter daran, die Gasleitung zu den Häusern unter der Brücke zuzudrehen – ein klares Zeichen dafür, dass die Leute noch lange nicht zurückkehren.