Leonid Wolkow hatte gerade vor seinem Haus in der litauischen Hauptstadt Vilnius parkiert, als der Angriff geschah: Maskierte Männer zerschlugen das Fenster beim Fahrersitz, sprühten Wolkow Tränengas ins Gesicht und droschen mit einem Hammer auf ihn ein. Wolkow konnte sich wehren, worauf die beiden Angreifer flohen, doch sie liessen ihn mit einem gebrochenen Arm zurück.
Zur Urheberschaft der Attacke im vergangenen März lag der Verdacht zunächst auf dem Kreml: Schliesslich war Leonid Wolkow ein enger Wegbegleiter des führenden russischen Oppositionellen Alexei Nawalny. Nawalny war erst einen Monat zuvor in russischer Haft gestorben.
War es ein Oppositioneller?
Doch nun veröffentlicht Nawalnys Rechercheteam einen Bericht, der die russische Opposition erschüttert: Hinter der Attacke auf Wolkow soll nicht der Kreml stecken, sondern ein anderer Oppositioneller: Leonid Newslin. Newslin, ein milliardenschwerer Unternehmer, der heute in Israel lebt, soll auch Angriffe auf andere Kremlgegner befohlen haben.
Newslin machte in den 1990er-Jahren in Russland sein Vermögen als Geschäftspartner des Öl-Magnaten Michail Chodorkowski. Bald signalisierte Chodorkowski politische Ambitionen, doch der neue russische Präsident, Wladimir Putin, räumte mit den Oligarchen auf: Chodorkowski kam wegen angeblichen Betrugs ins Gefängnis, Newslin flüchtete ins Ausland. Seither ist Newslin ein erbitterter, manchmal ausfälliger Gegner Putins. Er bleibt ein Freund Chodorkowskis, der 2013 freikam und um einiges staatsmännischer als Kremlkritiker auftritt. Beide weisen jede Verantwortung für den Angriff auf Wolkow von sich.
Schwierige Beziehung trotz gemeinsamem Feind
Ob die Vorwürfe stimmen oder nicht: Sie stürzen die russische liberale Exilopposition noch tiefer in die Krise. Seit jeher ist sie gelähmt durch Grabenkämpfe, die oft zwischen Lagern wie denjenigen von Nawalny und Chodorkowski stattfinden: Für Chodorkowskis Generation sind die Nawalny-Leute nichts mehr als Aktivisten, für Nawalny-Anhänger bleibt Chodorkowski ein Oligarch, der einfache Russinnen und Russen nicht erreichen kann.
Auch die Freude nach dem Freitausch mehrerer in Russland inhaftierter Oppositioneller im August ist schnell verflogen: Die freigelassenen Helden fielen mit missratenen öffentlichen Auftritten auf; daneben stritten die Putin-Gegner über Datenlecks, warfen sich gegenseitig vor, für den Kreml zu arbeiten. Und auch Julia Nawalnaja hat seit dem Tod ihres Mannes Alexei nicht vermocht, dessen Charisma zu replizieren.
Den Kreml freuts
Kein Wunder frohlocken die Kreml-Medien: Auch der Staatssender RT berichtet über den Fall Newslin. Und zitiert süffisant einen lettischen Politologen: «Der russischen Opposition ist nicht zu trauen, sie sollte als politische Kraft nicht existieren. Wenn die EU und die USA die russische Opposition finanzieren, verschwenden sie ihr Geld und ihre Zeit.»