Fast einen Monat ist es her, seit in Belarus der bekannte Blogger Roman Protassewitsch verhaftet wurde. Das Passagierflugzeug, in dem er sich befand, wurde unter einem Vorwand gezwungen, in Minsk zu landen. Iryna Herasimovich ist Kulturvermittlerin und Übersetzerin aus Minsk. Sie ist seit kurzem dank eines Stipendiums im Kanton Zürich. Wer sich in Belarus für mehr Demokratie einsetze, könne sich nicht sicher fühlen, sagt sie.
SRF News: Sie sind der Meinung, die Lage für Journalistinnen und Kulturschaffende in Belarus werde immer schwieriger. Weshalb?
Iryna Herasimovich: Ich vermute, weil sie denkende Menschen sind. Und denkende, fragende, zweifelnde Menschen sind gefährlich für die Führung des Landes. Es gab unterschiedliche Phasen in den letzten Jahrzehnten. Kritische Stimmen waren immer eher im Untergrund. Aber jetzt wird alles dichtgemacht. Die Kulturszene wird tatsächlich vernichtet.
Es ist nicht mehr möglich, aus Belarus auszureisen. Fürchten sich jetzt alle, die sich an der Demokratiebewegung beteiligt haben, vor einer Festnahme? Was berichten Ihre Bekannten aus Belarus?
Ich habe schon von allen gehört, dass sie sich solche Gedanken machen. Wie wird es sein, wenn auch sie verhaftet werden? Man muss auch wissen, das Ganze ist sehr willkürlich. Man kann wegen kleinster Sachen im Gefängnis landen, etwa wegen Socken, die die falsche Farbe haben, oder wegen einem falschen Bild auf dem Handy, das auf der Strasse kontrolliert wird. Niemand, der sich für die Demokrartie einsetzt, kann sich in Sicherheit fühlen.
In Deutschland haben kulturelle Institutionen in einer Petition die sofortige Freilassung Protassewitschs und seiner Partnerin gefordert. Haben solche Appelle Auswirkungen auf eine Regierung, die sogar so weit geht, einen Linienflug umzuleiten, um einen Blogger zu verhaften?
Direkt eher wenig. Ich kann mir schwer vorstellen, dass die Machthabenden das alles tun, und dann plötzlich sagen: «Oh, jetzt fordern Kulturschaffende die Freilassung, jetzt haben wir Mist gebaut, wir müssen etwas korrigieren.»
Man kann wegen Socken, die die falsche Farbe haben, oder einem falschen Bild auf dem Handy im Gefängnis landen.
Aber ich glaube, dass solche Petitionen durchaus dazu gut sind, um mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Andererseits: Man muss sich auch im Klaren darüber sein, dass so eine Petition eigentlich ein ziemlich leichter Schritt ist. Was ich mir wünsche, ist eine wirkliche Auseinandersetzung mit dem belarussischen Raum in all seiner Vielfalt. Ich glaube an das Beziehungsnetz, das unter anderem auch durch kulturelles Schaffen entstehen kann.
Sie haben Werke von Schweizer Autorinnen und Autoren ins Belarussische übersetzt. Welchen Autor, welche Autorin aus Belarus würden Sie uns in der Schweiz empfehlen, um mehr Verständnis für das Land zu entwickeln?
Ich würde unbedingt Artur Klinau empfehlen, ein sehr bekannter belarussischer Autor, der im deutschsprachigen Raum bereits angekommen ist. Mit seinem Buch «Minsk, Sonnenstadt der Träume» und dem im Herbst erscheinenden «Acht Tage der Revolution». Das ist eine ganz wunderbare Darstellung der Zustände und der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte.
Belarus war lange Zeit ein weisser Fleck auf der Landkarte.
Belarus war lange Zeit ein weisser Fleck auf der europäischen Landkarte, aber das bedeutete nicht, dass dort nichts passierte. Klinau fängt dort an und führt uns bis in die heutige Zeit. Er protokolliert sehr minutiös die acht Tage der Revolution, in denen auch seine Tochter verhaftet wurde. Es ist sehr persönlich, aber auch sehr ironisch und ich glaube sehr universell.
Das Gespräch führte Irene Grüter.