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Einspruch eingelegt Israel ficht Netanjahu-Haftbefehl an – die Antworten

Israel ist empört über die Haftbefehle des Internationalen Strafgerichtshofs ICC und legt Rekurs ein. Dabei hätte Israel die Haftbefehle verhindern können, sagen Menschenrechtsanwältinnen und -anwälte. Fragen und Antworten von Susanne Brunner, Leiterin der SRF-Auslandredaktion.

Susanne Brunner

Leiterin Auslandredaktion

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Susanne Brunner war für SRF zwischen 2018 und 2022 als Korrespondentin im Nahen Osten tätig. Sie wuchs in Kanada, Schottland, Deutschland und in der Schweiz auf. In Ottawa studierte sie Journalismus. Bei Radio SRF war sie zuerst Redaktorin und Moderatorin bei SRF 3. Dann ging sie als Korrespondentin nach San Francisco und war nach ihrer Rückkehr Korrespondentin in der Westschweiz. Sie moderierte auch das «Tagesgespräch» von Radio SRF 1. Seit September 2022 ist sie Leiterin der Auslandredaktion von Radio SRF.

Hier finden Sie weitere Artikel von Susanne Brunner und Informationen zu ihrer Person.

Ist Netanjahu für den ICC ein Kriegsverbrecher?

Die ICC-Richter und Richterinnen haben einstimmig geurteilt, dass der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu und sein kürzlich entlassener Verteidigungsminister Joav Gallant wegen ihrer Kriegsführung strafrechtlich belangt werden müssen: Einsatz von Hunger als Kriegswaffe im Gazastreifen und mutmassliche Schuld an anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Was ist der Internationale Strafgerichtshof ICC?

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Der Internationale Strafgerichtshof ist ein Strafgericht in Den Haag in den Niederlanden. 124 Staaten haben das Römische Statut unterschrieben, das die juristische Grundlage für das Gericht bildet.

Zuständig ist das Gericht für die vier Kernverbrechen des Völkerrechts: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Verbrechen der Aggression und Kriegsverbrechen. Israel ist nicht Mitglied. Palästina hingegen hat das Römische Statut unterschrieben und ist seit 2015 Mitglied.

Was sagt der ICC zur Hamas?

Der ICC-Chefankläger beantragte auch Haftbefehle für die Hamas-Führer Yahya Sinwar, Ismail Hanniyeh und Mohammed Deif, deren Organisation Israel am 7. Oktober 2023 brutal angegriffen hatte. Israel tötete Sinwar und Hanniyeh jedoch und behauptet, auch Deif sei tot. Dafür gibt es keine Bestätigung. Deshalb stellte der ICC einen Haftbefehl gegen Deif aus: wegen Mordes, Vergewaltigung, Folter und anderer Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Ifat Reshef in der Nahaufnahme.
Legende: Ifat Reshef, israelische Botschafterin in der Schweiz, sagt: «Die Haftbefehle sind ein Skandal, sie sind absurd und gefährlich. Nicht nur für Israel, sondern für alle Demokratien, die von bösartigen, extremistischen Terror-Organisationen angegriffen werden und ihre Bevölkerung verteidigen: Wir sind total schockiert und wütend.» KEYSTONE/Peter Schneider

Was hat Israel getan?

Israels Oberstaatsanwältin läutete die Alarmglocken: Man müsse sofort handeln. Die israelische Justiz müsse die Vorwürfe untersuchen, Israel hungere die Bevölkerung im Gazastreifen aus. Ansonsten, so die Oberstaatsanwältin sinngemäss, sei die Regierung selber schuld, wenn es Haftbefehle aus Den Haag gebe. Vor einem halben Jahr hatte der ICC-Chefankläger Haftbefehle gefordert.

Hat Israel eine Untersuchung der Vorwürfe eingeleitet?

Zuerst müsse Israel untersuchen, warum die Hamas am 7. Oktober 2023 ungehindert 1200 Menschen massakrieren konnte, sagt Ifat Reshef, die israelische Botschafterin in der Schweiz. Gegen eine solche Untersuchung stellt sich die Regierung jedoch bis heute. Die Botschafterin sagt, das Höchste Gericht befasse sich mit einer Klage zivilgesellschaftlicher Organisationen, welche Netanjahu und Gallant die Aushungerung der Gaza-Bevölkerung vorwerfen. Der ICC gehe jedoch nicht darauf ein und behandle Israel, als ob das Land kein funktionierendes Justizsystem habe. Die Vorwürfe gegen Israel hätten nichts mit der Realität zu tun.

Während Jahrzehnten genoss das israelische Rechtssystem den Ruf, professionell und unabhängig zu sein. Dieser Ruf ist jetzt total zertrümmert.
Autor: Michael Sfard Israelischer Menschenrechtsanwalt

Hat Israel eine Chance verpasst, die Haftbefehle zu verhindern?

Ja, sagt der bekannte israelische Menschenrechtsanwalt Michael Sfard. Israel habe es bis jetzt unterlassen, Vorwürfen von Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nachzugehen. Die einzige Art von Untersuchungen, die eingeleitet wurden, seien nicht strafrechtlicher Art. Vielmehr seien es Einzelfälle, bei denen Soldaten im Verdacht stünden, gegen Befehle verstossen zu haben.

Michael Sfard in Nahaufnahme, sitzend.
Legende: Sfard sagt, Israel sehe sich mit einer juristischen Lawine konfrontiert: die Haftbefehle gegen Netanyahu und Gallant, ein ICC-Gutachten und die von Südafrika eingereichte Genozid-Klage. «Die internationalen Gerichte haben kein Vertrauen mehr in die israelische Justiz, unabhängige Untersuchungen über die eigene Kriegsführung einzuleiten.» SRF

Hat der ICC Israel keine Chance gegeben?

Ein halbes Jahr hat der Internationale Strafgerichtshof vom Strafantrag bis zu seinem Urteil gewartet – vergleichsweise lange. Es stimmt, dass sich Israels Höchstes Gericht mit einer Petition von Menschen­rechts­organisationen befasst. Eine strafrechtliche Klage ist das nicht, und deshalb als Beweis, dass Israel seine Kriegsführung selber untersuche, nicht geeignet. Der ICC kündigte an, die Haftbefehle zurückzuziehen, wenn Israels Justiz die strafrechtlichen Vorwürfe selber untersuche.

Mitarbeit: Anna Trechsel

Echo der Zeit, 28.11.2024, 18:00 Uhr;kobt ; 

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