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Haftbefehle im Nahost-Krieg Ein Minimum an Menschlichkeit ist Pflicht

Der Entscheid des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) im niederländischen Den Haag ist aufsehenerregend, sorgt für Kritik – überraschend kommt er aber nicht.

Der IStGH hat Haftbefehle erlassen wegen mutmasslicher Kriegsverbrechen im Krieg zwischen der Hamas und Israel. Sie richten sich gegen den – wahrscheinlich getöteten – Hamas-Anführer Mohammed Deif, gegen den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu sowie gegen weiteres Führungspersonal auf beiden Seiten.

IStGH wagt sich an die erste Liga

Lange stand der IStGH in der Kritik, er ermittle nur gegen Militärs und Politiker, die weltpolitisch in der zweiten Liga spielen, namentlich gegen Kriegsverbrecher aus Afrika. Mit dem Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin aus dem Jahr 2023 und nun gegen Netanjahu wagt sich der IStGH an die erste Liga. Er ruft in Erinnerung, dass Recht für alle gilt.

Netanjahu hat bereits verlauten lassen, der IStGH-Entscheid sei «absurd» und «eklig». Der IStGH, so die Kritikerinnen und Kritiker, stelle Netanjahu, die Hamas und Putin auf die gleiche Stufe.

Solche Kritik blendet aus, worum es wirklich geht – nämlich nicht um das Recht, Krieg führen zu dürfen, sondern um das Recht im Krieg, das sogenannte humanitäre Völkerrecht.

Zivilbevölkerung darf nicht kollektiv bestraft werden

Putin führt gegen die Ukraine einen illegalen Angriffskrieg, und illegal war auch der Terrorangriff der Hamas aus dem Gazastreifen gegen Israel im Oktober 2023. Umgekehrt war und ist es legal, dass sich Israel verteidigt, die Hamas militärisch bekämpft und dabei zivile Opfer nicht ausschliessen kann.

Wenn die Hamas Frauen und Kinder als menschliche Schutzschilde missbraucht und in Spitälern Stellung bezieht, folgt daraus nicht unbedingt, dass Israel diese Spitäler verschonen muss. Die rechtliche Abwägung ist kompliziert und kann von Fall zu Fall unterschiedlich ausfallen.

Aber jede Kriegspartei muss sich an ein paar Minimalregeln halten, die in den Genfer Konventionen festgeschrieben und von allen Staaten der Welt ratifiziert worden sind. Dazu gehört, dass die Zivilbevölkerung nicht kollektiv bestraft werden darf.

Minimum von Menschlichkeit auch im Krieg

Der IStGH sieht nun aber Grund zur Annahme, dass Netanjahu eine Zeitlang «absichtlich und wissentlich» dafür sorgte, dass die Menschen im Gazastreifen keinen Zugang zu Wasser, Nahrung und Medikamenten hatten. Das wäre ein Verstoss gegen die Genfer Konventionen und damit ein Kriegsverbrechen.

So gut wie sicher ist, dass sich weder Hamas-Verantwortliche noch Netanjahu jemals vor dem IStGH in Den Haag werden verantworten müssen. Sie werden sich aber vermutlich – wie Putin – in Zukunft gut überlegen, ob sie in Länder reisen, die IStGH-Haftbefehle vollstrecken. Dazu gehört auch die Schweiz.

Der IStGH hat mit seinem Entscheid in Erinnerung gerufen, dass es jenseits von Gut und Böse ein Minimum von Menschlichkeit auch im Krieg geben muss. Ein Grundsatz, auf den sich einst alle Staaten der Welt geeinigt hatten – auch Russland, Israel und die Staaten, welche die Hamas und ihren abscheulichen Terror unterstützen.

Sebastian Ramspeck

Internationaler Korrespondent

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Sebastian Ramspeck ist internationaler Korrespondent für SRF. Zuvor war er Korrespondent in Brüssel und arbeitete als Wirtschaftsreporter für das Nachrichtenmagazin «10vor10». Ramspeck studierte Internationale Beziehungen am Graduate Institute in Genf.

Hier finden Sie weitere Artikel von Sebastian Ramspeck und Informationen zu seiner Person.

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Aus dem Archiv: Gaza – Zivilisten kämpfen ums Überleben
aus Echo der Zeit vom 10.11.2024. Bild: Reuters
abspielen. Laufzeit 28 Minuten 28 Sekunden.

SRF 4 News, 21.11.2024, 15:30 Uhr

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