Bald ein Jahr ist es her, seit Israel seine Offensive im Gazastreifen gestartet hat. Die Kämpfe gehen unvermindert weiter, im Moment vor allem im Norden des Gazastreifens. Seit den jüngsten Angriffen Israels hat sich dort die humanitäre Lage weiter verschlechtert.
Die palästinensisch-schweizerische Friedensaktivistin Shirine Dajani fühlt sich hilflos angesichts der Gewalt im Gazastreifen. Die Menschen dort hätten alles verloren: «Alle sind traumatisiert. Sie haben ihr Zuhause verloren, ihre Arbeit, ihre Freunde, Familienmitglieder.»
Vor allem das Leiden der Kinder beschäftigt Dajani, Mitgründerin von «Palestine Solidarity Schweiz». «Kinder sind seit einem Jahr nicht zur Schule gegangen. Sie leben in Angst. Sie haben miterlebt, wie ihre Verwandten, Eltern, Freunde getötet wurden. Sie werden von Ort zu Ort evakuiert. Sie müssen extrem viele grosse Strecken zurücklegen, um in Sicherheit zu gelangen. Und eigentlich gibt es keine Sicherheit in Gaza.»
Shirine Dajani hat eines ihrer zwei Patenkinder im Gazakrieg verloren. Das Mädchen, das nach ihr benannt wurde, sei von einer Bombe mit weissem Phosphor getroffen worden – eine Munition, die nur gegen militärische Einrichtungen gerichtet werden darf. Organisationen wie «Human Rights Watch» oder «Amnesty International» werfen Israel den rechtswidrigen Einsatz von weissem Phosphor vor. Israel hat die Vorwürfe bislang zurückgewiesen.
Tagelange Funkstille
Seit einigen Tagen hat Shirine Dajani nichts mehr von der Familie des Mädchens gehört. Durch die erneuten Angriffe im Norden des Gazastreifens seien die Familienmitglieder voneinander getrennt worden. «Es gibt fünf Kinder. Die ältesten Brüder sitzen im Norden fest. Der Vater ist durch Schrapnell am Kopf verletzt. Die Mutter hat versucht, mit dem Jüngsten nach Süden zu fliehen. Ich weiss nicht, wie es ihnen geht. Ich habe keine Nachrichten.»
Die Menschen essen Tierfutter, um zu überleben.
So gehe es derzeit vielen, die Menschen im Gazastreifen kennen. Auf allen gängigen Kommunikationskanälen herrscht oft Funkstille. Neben den Angriffen gibt es auch grosse Probleme, genügend Nahrungsmittel zu finden. «Die Situation hat sich so drastisch verschlechtert, dass die Menschen Tierfutter essen, um zu überleben. Die Palästinenser hungern. Israel lässt nur sehr wenig Nahrungsmittel oder medizinische Vorräte rein.»
Wenig Essen und schlechte medizinische Versorgung
Tierfutter als Nahrung, kaum trinkbares Wasser, und dazu komme die prekäre medizinische Versorgung, erzählt Dajani. «Mehrere Hilfsorganisationen haben das berichtet. Es gibt sehr wenige oder keine Betäubungsmittel. Kindern müssen Arme und Beine ohne Betäubungsmittel amputiert werden. Frauen haben Kaiserschnitte ohne Betäubungsmittel. Die Spitäler sind voll mit Verletzten. Und sie werden regelmässig bombardiert.»
Obwohl Shirine Dajani nur Schlimmes aus dem Gazastreifen zu berichten weiss, hat sie als Friedensaktivistin die Hoffnung auf Frieden noch nicht verloren. «Ich weiss, es ist fast unmöglich für die Leute, an dieser Idee festzuhalten. Aber es war nicht immer so in Palästina. Es gab eine Zeit vor 1948, als meine Grosseltern dort gelebt haben. Muslime, Christen und Juden haben zusammengelebt. Für mich ist die einzige Hoffnung: Waffenstillstand, alle Kriegsverbrecher werden vor Gericht gebracht, und dann bauen wir wieder auf», sagt die Friedensaktivistin.