In Nahost sprechen wieder die Waffen: Israel weitet seine Angriffe gegen die Hamas im Gazastreifen aus, die Rückkehr zu einer Waffenruhe ist derzeit unwahrscheinlich. Gleichzeitig fliegt die israelische Luftwaffe Angriffe auf Ziele der Hisbollah im südlichen Libanon.
Doch auch in Israel selbst brodelt es. Das wird am neusten Kräftemessen zwischen Regierung und Justiz deutlich. Am Sonntag hat Benjamin Netanjahus Kabinett Oberstaatsanwältin Gali Baharav-Miara das Misstrauen ausgesprochen.
Ringen der staatlichen Institutionen
Premier Netanjahu und Israels Justiz liefern sich schon seit zwei Jahren einen erbitterten Machtkampf. Auf der einen Seite steht Netanjahu, der sich vor Gericht wegen Korruptionsvorwürfen verantworten muss. Er und seine Anhänger sprechen von einer «Hexenjagd» der Linken gegen den gewählten Premierminister.
Es ist ein Kampf zwischen den staatlichen Institutionen. Die eine Seite hält die Politik für zu mächtig, die andere die Justiz.
Auf der anderen Seite steht die Oberstaatsanwältin. Sie und vor allem Netanjahu-Gegner sehen ihr Amt als Bastion, welche Israels Demokratie vor dem Machthunger des Premiers und seiner rechtsradikalen Regierung bewahren muss. «Es ist ein Kampf zwischen den staatlichen Institutionen», sagt Susanne Brunner, Auslandredaktorin von SRF. «Die eine Seite hält die Politik für zu mächtig, die andere die Justiz.»
Einfach absetzen kann Netanjahu die unliebsame Strafverfolgerin zwar nicht. «Den Prozess hat er mit dem Misstrauensvotum aber ins Rollen gebracht», schätzt die Auslandredaktorin. In den letzten Tagen gingen Zehnttausende Menschen gegen Netanjahu auf die Strasse. Sie werfen ihm vor, die Demokratie zerstören zu wollen.
Bereits die Entlassung des Chefs des Inlandsgeheimdienstes hatte massive Proteste ausgelöst. Am Freitag intervenierte der Oberste Gerichtshof und stoppte die Entlassung.
Das unverarbeitete Trauma…
Israel verfüge zwar seit jeher über eine ausgeprägte Streitkultur, berichtet Brunner. Der Ton ist traditionell rabiat, in der Politik wie auf der Strasse. Dass der Streit nun aber mitten einen Mehrfronentenkrieg falle, mache vielen Menschen Sorgen. «Das Trauma des Hamas-Angriffs vom 7. Oktober ist noch lange nicht verwunden.»
Noch immer herrsche ein Gefühl der Unsicherheit und Verwundbarkeit vor, führt Brunner aus. «Gleichzeitig fürchtet ein Teil der Gesellschaft nicht nur die Gefahr von aussen, sondern auch die Gefahr von innen.» Eltern wollen ihre Söhne und Töchter nicht in den Krieg schicken, wenn sie fürchten, dass die Regierung das Land in einen religiös-autoritären Staat umbauen könnte.
Demgegenüber stehen Regierungsanhänger, die die Linke für die Spaltung der Gesellschaft verantwortlich machen und der Justiz Machtmissbrauch vorwerfen. Ein ehemaliger Richter und sogar Netanjahu sprechen von einem «Bürgerkrieg». Dass es so weit kommt, glaubt Brunner nicht, auch wenn ihr gewaltsame Zusammenstösse zwischen Polizei und Demonstrierenden wie am Wochenende in Jerusalem Sorge bereiten.
Sie kann sich aber vorstellen, dass sich ein Trend verstärkt, den sie bereits in einem Teil ihres Bekanntenkreises in Israel erlebt. Nämlich denjenigen, das tief gespaltene Israel zu verlassen – sei es für das Studium, einen attraktiven Job, oder gleich ganz.
Allerdings gibt es auch einen gegenläufigen Trend: Aus Angst vor antisemitischer Gewalt wächst die Zahl der Jüdinnen und Juden in aller Welt, die nach Israel auswandern wollen.