Von einem drohenden Flächenbrand im Nahen Osten ist nach der Tötung eines Hamas-Führers in Beirut und dem Doppelanschlag in Iran die Rede. Wie liesse sich der Gaza-Krieg beenden? Diese Frage hat sich Daniel Gerlach, Chefredaktor des Orient-Fachmagazins «Zenith», zusammen mit einem Staatsrechtler gestellt.
SRF News: Ihr Ansatz betont die Verantwortung der arabischen Staaten. Warum dieser Fokus?
Daniel Gerlach: Es stellt sich die Frage, wer im Gazastreifen Verantwortung übernehmen kann, abgesehen von den dortigen Palästinensern. Israel ist weder willens noch in der Lage, eine Verwaltung aufzubauen. Ebenso wenig die Europäer, und eine US-Besatzungstruppe wird es nicht geben. Das Problem den Vereinten Nationen zu überlassen, wäre auch nicht gut, denn dann wäre erfahrungsgemäss jeder und letztlich keiner verantwortlich.
Es wäre ein interessanter Präzedenzfall, wenn arabische Staaten in der Region Verantwortung für eine Friedenslösung übernehmen und nicht nur Forderungen stellen.
Deshalb halten wir eine arabische Verantwortung für nötig, weil diese Staaten als einzige gegenüber der Bevölkerung glaubwürdig auftreten können; als Sachwalter ihrer Interessen und weil sie die Lage gut kennen. Auch wenn sie das in der Vergangenheit oft nicht getan haben. Es wäre ein interessanter Präzedenzfall, wenn arabische Staaten Verantwortung für eine Friedenslösung in der Region übernehmen und nicht nur Forderungen stellen.
Sie skizzieren eine arabisch-palästinensische Verwaltung. Wie könnte das klappen?
Die palästinensische Bevölkerung müsste beteiligt werden. Es dürfte aber nicht die Hamas sein, denn das würden die anderen Konfliktparteien nicht akzeptieren. Die palästinensische Autonomiebehörde kann auch nicht einfach wieder nach Gaza verpflanzt werden. Mangels Wahlen müsste man deshalb die grossen Familienverbände zusammenbringen und aus deren Kreis eine Art Zivilverwalter bestimmen. Da die Palästinenser zumindest in der Übergangsphase keine Sicherheitsverantwortung übernehmen können, bräuchte es eine multinationale arabische Streitmacht. Mit einem Sicherheitsgouverneur – einer integren arabischen Persönlichkeit mit Rückhalt, die Sicherheitsgarantien von Israel hat.
Es gibt durchaus Modelle in der Vergangenheit, die funktioniert haben.
Wir haben über das Besatzungsstatut in Deutschland nach 1945 nachgedacht, auch wenn es keine Analogie zur Konfliktsituation gibt. Doch es war eine Teilung zwischen einer Zivilverwaltung und einer multinationalen militärischen Verwaltung, die für Sicherheit sorgte. Es gibt also historische Modelle, die funktionierten.
Lässt sich die arabische Welt unter einen Hut bringen?
Dazu gibt es viele Fragen und Zweifel. Aber Szenarien leben auch davon, dass sie vom «best case» ausgehen und sich dynamisch entwickeln. Denn wer nur fragt, wer mitmachen würde, kann nicht in Szenarien denken. Ich denke hier an Ägypten, Katar und Jordanien, die sich schon bisher konstruktiv einbrachten.
Dazu kommen eventuell die Staaten des Abraham-Abkommens von 2020 mit Israel. Es sind dies die Vereinigten Arabischen Emirate, Marokko, Bahrain und eventuell bald Saudi-Arabien. Israel müsste seinerseits zusichern, den Gazastreifen nicht anzugreifen und Zugang zu Luft, Wasser und über die ägyptische Grenze gewähren, damit der Gazastreifen entwickelt werden kann.
Die arabischen Staaten fordern immer wieder die Rückkehr zu den Grenzen von 1967. Das mag derzeit kein sehr realistisches Szenario sein, aber es gibt hier zumindest ein historisches Modell, als der Gazastreifen unter der Herrschaft Ägyptens stand, als dieses im Krieg mit Israel war. Wir appellieren, auch solche Präzedenzfälle genau anzuschauen.
Das Gespräch führte Christina Scheidegger.