Bislang war die Türkei eines der wichtigsten und treuesten Nato-Mitglieder, das die heikle Südostflanke sicherte. Wegen des autoritären und islamistischen Kurses passt das Land jedoch politisch nicht mehr zum westlichen Militärbündnis.
Und jetzt wird die Türkei auch noch militärisch zu einem Problem. Qualifiziertes türkisches Armee-Personal wird nämlich rar. Zum Beispiel Eyüp: Bis vor kurzem war der Absolvent der Militärakademie in Istanbul ein hochrangiger türkischer Offizier. Später studierte er an einer Marine-Hochschule in den USA. Ein Mann mit Felderfahrung in Bosnien und Nato-Hauptquartier-Erfahrung in Brüssel.
Eyüp, der in Wirklichkeit anders heisst, gehörte zum Rückgrat der türkischen Armee. Doch inzwischen ist er eines von Tausenden Opfern der umfangreichen Säuberungen im türkischen Machtapparat. Er sei angeblich am Juli-Putsch gegen den Präsidenten Recep Tayyip Erdogan beteiligt gewesen.
Verhängnisvolle pro-westliche Orientierung
Gegenüber der ARD und dem «Spiegel» haben sich nun erstmals suspendierte Offiziere geäussert, anonym, ohne Bild, mit verfremdeten Stimmen. Einer von ihnen sagt, er habe kein gutes Gefühl. «Sie haben das Leben vieler Menschen in meinem Land ruiniert», erklärt er. Sie hätten mit der von Erdogan so sehr gehassten islamistischen Gülen-Bewegung rein gar nichts zu tun, beteuern alle.
Tatsächlich handelt es sich bei den meisten der Geschassten um nach Westen orientierte, säkulare Offiziere. Einige beantragen nun in Deutschland, Belgien und anderswo Asyl. Ein Aderlass also bei der türkischen Armee, der zweitgrössten der Nato, hinter jener der USA. Punkto Schlagkraft war sie zwar schon bisher nie die Nummer zwei. Doch sie genoss Ansehen, symbolisierte die Einheit des Landes.
Jetzt, nach den Säuberungen, ist die Moral am Boden. Es gibt interne Flügelkämpfe. Die Rekrutierung qualifizierter neuer Soldaten und Offiziere stockt.
Annäherung an Putin vergiftet Atmosphäre
Ian Lesser, Chef des Brüsseler Büros der Denkfabrik German Marshall Fund, beschäftigt sich seit Jahren mit dem Verhältnis der Türkei zur EU und zur Nato. Er sieht einen spürbaren Kompetenzverlust seitens der türkischen Einsatzkräfte. Und das ausgerechnet jetzt, da es an der Südostflanke der Nato rumort. Es fehlt ein Drittel der Generäle. Es fehlen strategische Köpfe und Planer. Und es fehlen Hunderte Kampfpiloten, was beim Militäreinsatz in Syrien besonders spürbar ist.
All das löse Besorgnis am Nato-Sitz aus, sagt Lesser. Inzwischen räumt selbst der Oberkommandierende, US-General Curtis Sacaparotti, offen ein, man müsse eine Beziehung völlig neu aufbauen. Da sei viel zu tun. Erschwert wird die Aufgabe, weil die politische Atmosphäre vergiftet ist, seit sich der türkische Präsident immer enger an Russland, dem Hauptwidersacher der Nato, anlehnt. Immer schärfer schiesst Erdogan mal direkt, mal indirekt über seine Minister gegen die Militärallianz.
Es sei eine Frechheit, dass in Europa darüber diskutiert werde, ob die Türkei überhaupt noch in die Nato gehöre, so Aussenminister Mevlut Cavusoglu neulich. Dabei drängt sich die Frage auf. Denn die Nato versteht sich auch als demokratische Wertegemeinschaft. In diese passt die Türkei kaum noch.
Trotz allen Diskrepanzen voneinander abhängig
Bei der Nato übt man sich jedoch in Leisetreterei. Generalsekretär Jens Stoltenberg wiederholt seit Monaten gebetsmühlenhaft, dass die Türkei ein hochgeschätzter Alliierter sei und bleibe. Und: Eine demokratische, stabile Türkei sei wichtig für die Nato. Wobei diese Bemerkung zwei Interpretationen zulässt, nämlich: Die Türkei ist demokratisch und stabil. Oder: Man hätte gerne eine demokratische, stabile Türkei.
Lesser sieht eine grosse Diskrepanz zwischen der enormen strategischen Bedeutung des Landes für die Nato und dessen bloss mässiger Kompatibilität mit der Allianz. Das Problem aber sei, dass der Nato schlicht ein Mechanismus fehle, um Mitglieder, die gewisse Standards nicht mehr erfüllen, loszuwerden, sagt er.
Was tun? Die Nato und die Türkei, die sich nicht lieben, nicht wirklich zueinander passen und einander immer weniger vertrauen, brauchen sich trotzdem. Die holprige Beziehung könnte also, wenn auch mehr schlecht als recht, Bestand haben.