An der nördlichen Grenze zu Israel hortet die mächtige schiitische Miliz Hisbollah zehntausende Raketen, die stärksten könnten von Libanon aus Ziele tief in Israel erreichen. Aber auch im Süden, am Roten Meer, nimmt eine bewaffnete Gruppe Israel ins Visier: die Huthi-Rebellen aus Jemen.
Die Huthis haben in den letzten Wochen wiederholt Drohnen und Marschflugkörper in Richtung der israelischen Stadt Eilat abgefeuert. Wie die Hisbollah werden auch die Huthis von der israelfeindlichen Regionalmacht Iran unterstützt und zählen zur «Achse des Widerstands» von bewaffneten Gruppen, welche Iran in der Region unterhält.
Ihre Anfänge als politische Bewegung fallen in die Zeit der US-Invasion im Irak 2003. Die Vorstellung, dass der «ungläubige Westen» im Nahen Osten mache, was er wolle, hat die Stammeskämpfer aus den nordjemenitischen Bergen geprägt. Israel erscheint in ihrer Propaganda als ein weiteres und besonders eklatantes Beispiel westlicher Kolonisierung «islamischer Erde».
Was die islamistische Bewegung zur Rebellion in Jemen antrieb, war aber das Gefühl, als Stamm mit grosser Geschichte im eigenen Land nicht respektiert zu sein. Also verschafften sie sich den Respekt mit Waffen und skrupelloser Bündnispolitik.
Zugute kam ihnen die notorische Zerstrittenheit ihrer Gegner, aber auch, dass sie stets unterschätzt wurden – und werden, sagt der Jemenexperte Farea Al-Muslimi.
Die Kämpfer mit Flipflops und Stammestracht sind zu einer gewaltigen Streitmacht geworden.
Al-Muslimi erinnert an das allgemeine Erstaunen, als die Huthis 2018 nicht mehr nur Kalaschnikows, sondern plötzlich mehr als eintausend Raketen und Drohnen besassen. Und erst vor wenigen Wochen zeigten die Huthis, dass sie nun sogar über Raketen mit einer Reichweite von 2000 Kilometern verfügen. «Und wieder waren alle fassungslos.»
Dabei sei längst klar: «Die Kämpfer mit Flipflops und Stammestracht sind zu einer gewaltigen Streitmacht geworden.» Ihre Kapazitäten reichten inzwischen weit über Jemen hinaus. Mit ihren Waffen können sie auch Ziele im Süden Israels erreichen. Dank Iran.
Al-Muslimi sieht zwei Szenarien für das Verhalten der Huthis im Konflikt mit Israel. Das eine ist, dass irgendeine Form von Waffenruhe für Gaza geschlossen wird. Die Huthis würden das als Propagandaerfolg auch für sich verbuchen in ihrem Kampf für die «Befreiung Palästinas» und sich danach wieder an den Verhandlungstisch mit ihren jemenitischen Kriegsgegnern begeben. Denn vor der Gewalteskalation um Gaza waren die jemenitischen Kriegsparteien so nahe an einem Abkommen wie nie zuvor, sagt der Experte. Diese Friedenshoffnung für Jemen hänge seither in der Luft.
Das zweite, düstere Szenario ist jenes einer weiteren Eskalation in der Region. Al-Muslimi kann sich vorstellen, dass die Huthis in diesem Fall weitere, gezielte Angriffe mit hoher Symbolkraft auf Israel verüben. Vor allem aber würden sie sich wohl auf ein naheliegenderes und ebenso wirkungsvolles Ziel konzentrieren, die Störung des israelischen und internationalen Schiffsverkehrs.
Vor der jemenitischen Küste durch die Meerenge Bab al-Mandab und das Rote Meer Richtung Suezkanal verläuft eine der wichtigsten Transportrouten. «Die Rebellen aus den Bergen sind heute stark genug, um den globalen Seehandel zu torpedieren», sagt Al-Muslimi. Dass sie darauf abzielen könnten, haben die Huthis diese Woche selber angedroht. Die neueste Frontlinie auf der iranischen «Achse des Widerstands» verlaufe mitten durchs Rote Meer, warnt Al-Muslimi.