- Der Rückgriff auf koloniales Notstandsrecht und das Vermummungsverbot lösen in Hongkong neue Proteste aus.
- Tausende Menschen demonstrierten am Freitag, bauten Strassenblockaden, warfen Brandsätze und demolierten U-Bahnstationen oder Geschäfte mit Beziehungen zur Volksrepublik China.
- Ein junger Mann wurde angeschossen und verletzt. Ein Polizist, der nicht im Dienst war, sei in einen Tumult geraten und habe die Waffe gezogen, berichtete die «Hong Kong Free Press».
Das von Hongkongs Regierungschefin Carrie Lam ausgerufene Vermummungsverbot und die Anwendung des kolonialen Notstandsrechts lösten in der Wirtschaftsmetropole neue Unruhen aus.
Eine von Aktivisten beantragte einstweilige Verfügung gegen das Vermummungsverbot lehnte das Oberste Gericht noch am Freitagabend ab, berichtet die «South China Morning Post».
U-Bahn stellt Betrieb komplett ein
Bei der neuen Welle von Protesten hielten sich die Polizeikräfte zunächst zurück, gingen aber dann mit Tränengas und Schlagstöcken vor.
Es kam zu schweren Ausschreitungen. Wegen Brandstiftungen und Beschädigungen stellte die U-Bahn aus Sicherheitsgründen alle Dienste ein. Viele Demonstranten trugen als Zeichen des Protestes Masken, bevor um Mitternacht das Vermummungsverbot in Kraft trat.
Peking begrüsst Vermummungsverbot
Die Regierung in Peking begrüsste den Bann auf Grundlage eines fast 100 Jahre alten Kolonialgesetzes und forderte ein härteres Durchgreifen. «Das gegenwärtige Chaos in Hongkong kann nicht ewig andauern», sagte der Sprecher des Hongkong-Amtes des Staatsrates. «Jetzt ist ein wichtiger Zeitpunkt gekommen, um den Sturm mit einer eindeutigen Haltung und wirksameren Methoden zu stoppen.»
Das verschärfte Vorgehen durch Regierungschefin Carrie Lam erfolgte nach ihrer Rückkehr von einem Besuch in Peking, wo sie am Dienstag an den Feiern und der Militärparade zum 70. Gründungstag der Volksrepublik teilgenommen hatte.
«Sehr gefährlicher Zustand»
«Die öffentliche Ordnung ist in einem sehr gefährlichen Zustand», begründete Lam, warum sie sich mit dem Notstandsgesetz ermächtigte, das Vermummungsverbot durchzusetzen. Die Gewalt habe zugenommen, sagte Lam. Die Täter hätten meistens ihre Gesichter bedeckt. «Wir können nicht erlauben, dass die Situation immer schlimmer wird», sagte sie.
So tragen die Demonstranten Masken und Brillen, um sich vor Tränengas oder Pfefferspray zu schützen. Ausserdem wollen sie verhindern, dass die Polizei sie identifiziert.
Hongkong im Notstand oder nicht?
Die Argumentation der Regierungschefin zum Notstand wirkte widersprüchlich. So betonte Lam, dass sie nicht formell den Notstand erkläre, auch wenn sie sich auf das Notstandsrecht stütze. «Das bedeutet nicht, dass Hongkong im Notstand ist.»
Ziel des Verbots sei, dass die Wirtschafts- und Finanzmetropole wieder zu Frieden zurückkehre. Dem Parlament werde der Bann auf seiner nächsten Sitzung am 16. Oktober vorgelegt, um ihn zu einem Gesetz zu machen.
Strafen bis zu sechs Monaten Haft
Ausnahmen vom Vermummungsverbot gelten für Personen, die aus beruflichen, gesundheitlichen oder religiösen Gründen einen Gesichtsschutz tragen. Ähnlich für Journalisten, die über die Proteste berichten und sich auch mit Masken gegen Tränengas schützen.
Die Polizei kann aber jede Person in der Öffentlichkeit bei Verdacht auffordern, zur Identifizierung den Gesichtsschutz abzulegen. Wer dem nicht folgt, muss mit Strafen bis zu sechs Monaten Haft rechnen.