Israel ist heute mit einer neuen Regierung erwacht, in welcher Rechte, Linke und konservative Muslime vertreten sind. Es ist eine Regierung, die 27 Minister stellen – und die über heikle Punkte vorerst gar nicht sprechen will.
Grosse Würfe zum Nahostkonflikt und Siedlungsbau wird man erst einmal ausschliessen.
Die Regierung wisse selbst, wie heterogen sie sei – sie müsse sich nun erst einmal den innenpolitischen und gesellschaftlichen Herausforderungen widmen, erklärt Journalistin Gisela Dachs in Tel Aviv. Dies betreffe das Budget, aber auch Infrastrukturprojekte und andere konkrete Angelegenheiten, die unter anderem wegen Corona, aber auch angesichts von vier Wahlen in zwei Jahren liegengeblieben seien. «Grosse Würfe bezüglich Nahostkonflikt und Siedlungsbau wird man erst einmal ausschliessen.»
Steiniger Weg ist vorprogrammiert
Wie stabil die Regierung in dieser Zusammensetzung ist, sei fraglich, sagt Dachs, die auch Professorin am Center for German Studies ist und am European Forum an der Hebräischen Universität von Jerusalem lehrt. Landminen auf dem Weg habe es genug. Bereits am Dienstag etwa werde es in Jerusalem eine weitere, von Rechtsextremen angeführte Parade geben.
Zugleich habe sich das Team bisher durch eine sehr erstaunliche Kompromissbereitschaft ausgezeichnet, was eigentlich überrasche. «Wenn sie auf diesem Kurs erst einmal so weiterfahren, können sie vielleicht Sachen erreichen, die viele Leute überraschen werden», sagt Dachs.
Und das Abkommen mit Iran?
Dachs geht davon aus, dass in der neuen Regierung die von Bennett abgelehnte Rückkehr zum Abkommen mit Iran nicht als erstes auf dem Tisch kommen wird. Darüber werde aber weitergesprochen werden.
Insgesamt habe sich der aussenpolitische Kurs mit der neuen und vielen Rechten besetzten Regierung nicht völlig geändert. Ein Abkommen mit Iran in geänderter Form wäre laut Dachs wahrscheinlich sogar mehrheitsfähig: «Daran wird Aussenminister Yair Lapid wohl genau so arbeiten wollen wie Bennett.»
Wird Netanjahu zurückkommen?
Bereits hat der ehemalige Premier Benjamin Netanjahu erklärt, er werde aus der Opposition zurückkommen. Wie damals 1999, als er nach seiner ersten Amtsperiode Ehud Barak weichen musste. Allerdings ist Netanjahu heute 71 Jahre alt und wirkte am Sonntag weniger energiegeladen, wie Dachs beobachtete.
Eine Rückkehr werde wohl auch vom Rückhalt in seiner Likud-Partei abhängen, wo nächstens die Wiederwahl für den Parteivorsitz anstehe. «Ausschliessen kann man bei Netanjahu nichts, aber er ist nicht mehr derselbe Netanjahu wie vor 20 Jahren», so Dachs.
Likud sieht sich betrogen
In Tel Aviv wurde am Sonntag der Regierungswechsel gross gefeiert. Auch vor dem Haus von Netanjahu, wo Demonstranten beharrlich bis zu dessen Abgang ausharrten. Betrogen fühlt sich die Anhängerschaft von Likud als grösster Partei im Land – weil ein Mann, dessen Partei gerade einmal sechs Abgeordnete stellt, ohne Likud Premier geworden ist.
In dieser Hinsicht sei das Land also gespalten, so Dachs. Allerdings habe die neue Regierung versprochen, alle Landesteile repräsentieren zu wollen. «Letztlich ist sie tatsächlich so heterogen aufgestellt, dass sie diesen Anspruch äussern darf», so Dachs.