Durch ganz Europa ist António Costa in den letzten Wochen getourt. Bereits vor seinem Amtsantritt als Präsident des Europäischen Rates hat der 63-jährige Portugiese fast alle EU-Hauptstädte besucht. Er wird die geknüpften Kontakte brauchen. Denn vor ihm steht eine Herkulesaufgabe: Costa muss es schaffen, erfolgreich Kompromisse zwischen den 27 Mitgliedstaaten zu vermitteln und vorzubereiten, damit diese an den EU-Gipfeln konsensuale Entscheide fällen können.
Das war schon eine Herausforderung, als die Probleme der EU noch kleiner waren. Doch in Zeiten von Handelsstreitigkeiten mit China und den USA, schwindender europäischer Wettbewerbsfähigkeit und einem laufenden russischen Angriffskrieg an der Grenze zur EU ist die Einigkeit im Europäischen Rat ein noch viel teureres Gut.
Es wird eine der grössten Aufgaben in António Costas politischer Karriere sein. Einer Karriere, die vor einem Jahr bereits zu Ende schien. Korruptionsvorwürfe zwangen den damaligen portugiesischen Ministerpräsidenten zum Rücktritt. Später stellte sich heraus, dass die Ermittler ihn mit einem Namensvetter verwechselt hatten. Zwar wird weiterhin auch im Umfeld von Costas Stabschef ermittelt, doch politisch ist er rehabilitiert. Seiner Wahl durch die europäischen Staats- und Regierungschefs zum Präsidenten des Europäischen Rats stand der Fall nicht mehr im Weg.
«Brainstorming-Tag» für Europas Verteidigung
Der Sohn einer Portugiesin und eines Inders aus der ehemaligen portugiesischen Kolonie Goa wuchs in Lissabon während der Diktatur des Salazar-Regimes auf und betont seither, wie wichtig Freiheit und Demokratie für ihn persönlich und für Europa seien.
Dem einstigen Rechtsanwalt und Sozialdemokraten Costa eilt der Ruf eines konsensorientierten Pragmatikers voraus – und der eines notorischen Optimisten. Um den Konsens in der EU zu fördern, will er Anfang Februar einen «Brainstorming-Tag» unter den Staats- und Regierungschefs organisieren – um über die europäische Verteidigung zu sprechen. Es wird eines der grossen europäischen Themen der kommenden Jahre sein. Damit zusammen hängt auch die Diskussion um das EU-Budget für die Zeit ab 2028. Eine der Streitfragen dabei: Braucht es gemeinsame EU-Schulden, um die europäische Verteidigungsfähigkeit zu finanzieren?
António Costa tritt sein Amt in einer Zeit der ganz grossen Fragen an. Da Kompromisse zu vermitteln, ist für jeden Ratspräsidenten eine enorme Aufgabe – egal wie er heisst.
Nach dem «Sofagate» kann es nur besser werden
In Brüssel wären viele schon froh, wenn Costa einfach besser mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zusammenarbeiten würde als sein Vorgänger Charles Michel.
Nach dem «Sofagate» von Ankara herrschte zwischen den beiden eine jahrelange zwischenmenschliche Eiszeit. Wenn sich neben den Mitgliedstaaten auch noch Kommissions- und Ratspräsidium ständig uneinig sind, trägt das nicht zum Funktionieren der EU bei. Zumindest in diesem Punkt kann es mit António Costa fast nur besser werden.