Kerngeschäft der Opposition ist es, die Regierung und ihre Politik in die Zange zu nehmen. Doch wie macht man dies, wenn der Premierminister mitten in einer nationalen Krise eben dem Spitalbett entstiegen ist? Zum Beispiel, indem man den rekonvaleszenten Boris Johnson mit auserlesener Höflichkeit begrüsst, wie das Labour-Chef Keir Starmer tat. Nach der Gratulation zur Geburt von Sohn Wilfred kam er jedoch ohne lange Umschweife zur Sache.
«Vor einer Woche hat der Premierminister die Erfolge seiner Regierung im Kampf gegen die Pandemie in den höchsten Tönen gelobt», sagt Starmer. «Gestern mussten wir nun erfahren, dass tragischerweise gegen 30'000 Menschen ihr Leben infolge einer Corona-Erkrankung verloren haben.»
Das sei die höchste Zahl in Europa und die zweithöchste weltweit. «So sieht Erfolg nicht aus. Kann uns der Premierminister bitte erklären, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte?», fragte Starmer den Premierminister im halb leeren Unterhaus. Virusbedingt dürfen zurzeit nur 50 Parlamentarierinnen und Parlamentarier auf den grünen Polstersitzen Platz nehmen. Die Mehrheit der Abgeordneten verfolgen deshalb via Videokonferenz von zu Hause aus, wie Johnson die unangenehmen Fragen Starmers parieren musste.
«Es wird sicher eine Zeit kommen, in der man zurückblicken kann und fragen darf, was man allenfalls hätte besser machen können. Aber im Moment geht es allein darum, diese Pandemie in den Griff zu bekommen und den Alltag in diesem Land wiederherzustellen», wehrte sich Johnson. Im Übrigen ergebe es absolut keinen Sinn, die Statistiken einzelner Länder miteinander zu vergleichen, weil jedes Land auf seine Art gegen das Virus vorgehe, hielt er dem Opponenten, vielleicht etwas blass, aber eloquent wie immer, entgegen.
«Dieses Argument ist nicht stichhaltig, insbesondere nicht, weil uns die Regierung seit sechs Wochen jeden Tag im Fernsehen die Corona-Statistik im internationalen Vergleich präsentiert», konterte Starmer. «Es tut mir leid, aber die richtige Antwort auf meine Frage lautet wohl eher, dass die britische Regierung in der Bekämpfung der Pandemie schlicht zu langsam war.»
Starmer wollte vom Premierminister zudem wissen, weshalb in britischen Altersheimen immer noch so viele Menschen sterben würden und weshalb die Testkapazität bereits wieder rückläufig sei. Es sei richtig, dass die Nachfrage zurzeit das Angebot übersteige, erwiderte Johnson. Man arbeite jedoch daran und habe zum Ziel, bis Ende Monat 200'000 Leute pro Tag zu testen.
Er sei glücklich zu hören, dass Johnson diese Ambition habe, so Starmer. Noch glücklicher wäre er jedoch, wenn der Premierminister nicht nur ein Ziel, sondern auch eine Strategie hätte, meinte er maliziös. Diese Strategie werde er am Sonntag in einer Rede an die Nation skizzieren, kündigte Johnson eher kleinlaut an. Wahrscheinlich im Wissen darum, dass Starmer diese bereits nächste Woche an gleicher Stelle mit forensischer Präzision zerlegen wird.