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Ekrem Imamoglu: Vermutlich ein Bürgermeister auf Zeit
Aus SRF 4 News aktuell vom 18.04.2019.
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Neuer Istanbuler Bürgermeister «Viele empfinden den Machtwechsel als Befreiung»

Ekrem Imamoglu ist neu Bürgermeister von Istanbul. Doch wie lange er es bleibt, ist nicht klar, denn die AKP, die Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan, überlegt sich, die Wahl annullieren zu lassen. Damit würde die Partei aber ein gewisses Risiko eingehen, wie Thomas Seibert, Korrespondent aus Istanbul, sagt.

Thomas Seibert

Thomas Seibert

Journalist in der Türkei

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Thomas Seibert ist seit 1997 Korrespondent für den deutschen «Tagesspiegel» in Istanbul und berichtet auch für andere Medien, unter anderem für SRF.

SRF News: Wie ist der Machtwechsel in Istanbul bei der Bevölkerung angekommen?

Thomas Seibert: Viele haben hier gefeiert, sie empfinden diesen Tag als Befreiung. Einer sagte mir, er habe jahrelang auf diesen Moment gewartet.

Imamoglu könnte nur ein Bürgermeister auf Zeit sein. Beginnt er trotzdem mit der Arbeit?

Das wird er wohl tun. Er wird heute das Mausoleum des türkischen Staatsgründers Atatürk besuchen, danach wird er sich den Problemen der Stadt widmen müssen. Istanbul ist hoch verschuldet und es gibt grosse Verkehrsprobleme. Viele Leute beschweren sich auch darüber, dass die ganze Stadt zubetoniert worden sei. Imamoglu hat im Wahlkampf versprochen, das zu ändern, neue Parks anlegen zu lassen. Darum muss er sich jetzt kümmern.

Die AKP hat drei Koffer mit Dokumenten zur Wahlkommission gebracht. Damit will sie einen angeblichen Stimmenklau belegen. Weiss man, was in diesen Koffern ist?

Das weiss man nicht, aber die AKP hat ein grosses Problem. Bis zum Wahltag am 31. März sagte sie der Bevölkerung, die Türkei habe das sicherste Wahlsystem der Welt. Das änderte sich quasi über Nacht. Nun ist von grossflächigen Manipulationen die Rede. Die AKP argumentiert unter anderem, dass viele Leiter der städtischen Wahllokale unrechtmässig im Amt gewesen seien. Dabei kontrolliert die AKP die Bürokratie in allen Bereichen.

Wie stark ist der Druck, der nun auf der Wahlkommission lastet?

Die Opposition in der Türkei befürchtet, dass die Kommission unter erheblichen Druck der Regierung Erdogan geraten könnte, die Wahl in Istanbul doch noch zu annullieren.

Es gibt die Befürchtung innerhalb der AKP, dass bei einer Neuauflage der Wahl in Istanbul das Ergebnis noch viel schlechter ausfallen könnte.

Tatsächlich hat die Kommission in der Vergangenheit mehrmals Entscheidungen getroffen, die für die Regierungspartei von Nutzen waren. Auf der anderen Seite gab es auch Entscheidungen der Kommission gegen die AKP.

Innerhalb der Partei der AKP gibt es Stimmen, die sagen, man solle es gutsein lassen mit Istanbul. Wie meinen sie das?

Diese Leute argumentieren damit, dass die Türkei zur Ruhe kommen sollte. Der ehemalige Staatspräsident Gül, ein ehemaliger Weggefährte von Erdogan, hat sich zu Wort gemeldet und gesagt, dass nun eine Normalisierung eintreten müsse.

Es gibt auch die Befürchtung innerhalb der AKP, dass bei einer Neuauflage der Wahl in Istanbul das Ergebnis noch viel schlechter ausfallen könnte, wegen der Wirtschaftskrise und weil viele Leute dann hochmotiviert wären, gegen die AKP zu stimmen.

Kommen wir auf Imamoglu zurück, der ins Istanbuler Rathaus einziehen wird. Dort stösst er auf die Hinterlassenschaften von 25 Jahren AKP-Herrschaft. Was wird er vorfinden?

Die Opposition geht davon aus, dass sie etliche politische Leichen im Keller finden wird. Sie wird Korruption, Vetternwirtschaft – die es in den vergangenen Jahren gegeben haben soll – anprangern. Das hat schon begonnen. In Oppositionskreisen wurde gesagt, dass ein ehemaliger Minister von Erdogan sich jahrelang auf Kosten der Istanbuler Steuerzahler einen Chauffeur bezahlen liess.

Sehr viele regierungsnahe Verbände und Vereine haben Geld von der Stadtverwaltung bekommen. Das will Imamoglu beenden.

Sehr viele regierungsnahe Verbände und Vereine haben Geld von der Stadtverwaltung bekommen. Das will Imamoglu beenden. Da wird in den nächsten Wochen und Monaten wohl noch einiges rauskommen, was für die Regierung wahrscheinlich nicht sehr angenehm ist.

Das Gespräch führte Roger Aebli.

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