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Neuwahlen in Frankreich Le Pens Sieg und Macrons Mut

Als der Gymnasiast Emmanuel Macron verkündete, er werde seine Französischlehrerin Brigitte dereinst heiraten, hielten ihn die meisten für verrückt. Heute ist Brigitte Macron Frankreichs Première Dame – gegen viele gesellschaftliche Widerstände. Als Manager in der Finanzbranche verkündete Macron, Frankreichs Präsident zu werden – wieder hielten ihn viele für verrückt. Heute regiert Macron in seiner zweiten Amtszeit.

Furcht also ist keine Eigenschaft Macrons. Wo andere erstarren und festhalten, macht Macron unerwartete Volten, er spielt. Gegen Marine Le Pen vom Rassemblement National. Und gegen Éric Zemmour. Der Verschwörungstheoretiker hat mit seiner Partei Reconquête bei der Europawahl rund fünf Prozent errungen – zusammen mit Le Pen sind fast 40 Prozent der Stimmen in Frankreich an Rechtsaussen gegangen. Hat man da noch eine Legitimation als Präsident? Macron hat entschieden: Nein.

Macron geht ins Risiko

Seit der Revolution ist der Volkswille in Frankreich eine gelebte Maxime. Das Wichtigste. Und in diesem Geist will Macron sich nun wieder legitimieren. Das kann funktionieren, kann aber auch gründlich schiefgehen.

Wenn die extreme Rechte tatsächlich mit gegen 40 Prozent ins Parlament einziehen würde, wenn die Machtverhältnisse nach dem zweiten Wahlgang am 7. Juli klar sein werden, wird's schwierig. Gegen innen und gegen aussen. Die Unterstützung für die Ukraine zum Beispiel stünde auf der Kippe, Frankreich wäre nicht mehr die verlässliche Partnerin in der westlichen Welt. Auch innenpolitisch wäre Macron im ständigen Fight mit Le Pens Leuten. Könnte er sich als Präsident halten? Verfassungsrechtlich schon – aber realpolitisch?

Geht es aber gut, wäre es eines der mutigsten Manöver eines Staatschefs in Europa seit langem. Bis zum Ende seiner zweiten Amtszeit im Jahre 2027 könnte Macron weiterregieren, seinen Kurs halten.

Wahlkampf mit harten Bandagen

Seit Sonntagabend herrscht in Frankreich Wahlkampf, der mit härtesten Bandagen geführt wird. Le Pen wird versuchen, weiter in bürgerliche Wählerschichten vorzudringen. Das versucht Le Pens Partei schon lange. Erfolgsrezept: Wolf im Schafspelz. Die brutalen Flügelkämpfe in der Partei sind vorbei, die rassistischen Ausbrüche eingedämmt. Die Spinner und Fanatiker nicht mehr sichtbar. Hier ist das Rassemblement National zum Beispiel der AfD in Deutschland weit voraus.

Macron wird sich als Staatschef inszenieren, von seinem Amtsbonus profitieren. Er wird versuchen, den Wähleranteil zu erhöhen – nur 50 Prozent der Französinnen und Franzosen gingen an die Urne bei der Europawahl. Da geht noch mehr.

Viele in Frankreich halten Macron für verrückt, alles zu riskieren. Aber vielleicht beeindruckt es sie auch ein bisschen. Alles oder nichts. Wie damals bei Brigitte.

Stefan Reinhart

Leiter Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten

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Stefan Reinhart ist Leiter der Ausland-Korrespondentinnen und -Korrespondenten und Chef vom Dienst im Newsroom Zürich. Zuvor war er Deutschland-Korrespondent für SRF.

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HeuteMorgen, 10.6.2024, 07:00 Uhr

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