Die Ampelkoalition in Berlin ist beim Heizungsgesetz ausgebremst worden. Sie steckt in einem Dilemma: Der Klimawandel verlangt ein rasches Handeln, doch in der Bevölkerung weckt das Tempo Widerstände. Denn die ökologische Transformation werde auch als Bedrohung wahrgenommen, sagt der deutsche Soziologe Klaus Dörre. Gerade innerhalb der Arbeiterschaft.
SRF News: War dieser Tempomodus kontraproduktiv für die Wärmewende in Deutschland?
Klaus Dörre: Angesichts der dramatischen Situation bei den Folgen des Klimawandels ist Eile zwingend geboten. Doch das Heizungsgesetz wurde mit der heissen Nadel gestrickt und die soziale Nachhaltigkeit ist nicht deutlich geworden. Es gab keinen sozialen Ausgleich und es wurde auch nicht entsprechend kommuniziert. Deshalb hat es in der Bevölkerung einen unglaublichen Backlash gegeben.
Die soziale Frage wurde ja durchaus in die Gesetzgebung einbezogen. Das wurde aber schlecht kommuniziert?
Ja. Das ist aber nicht das einzige Problem. Im Gefolge des Kriegs in der Ukraine sind wir mit einer Inflation konfrontiert. Die Lebensmittelpreise sind beispielsweise im vergangenen Jahr um 14 Prozent gestiegen. Gleichzeitig bekommt die untere Hälfte derjenigen, die ein Einkommen beziehen, seit vielen Jahren immer weniger vom Kuchen. Und dieser Kuchen wächst nur noch langsam.
Die grüne Politik in Deutschland hat die Arbeiterinnen und Arbeiter zu erheblichen Teilen verloren.
Angesichts einer Inflation und höherer Energie- und Heizkosten bleibt für das Schöne im Leben immer weniger übrig. Das schafft eine ungeheure Unzufriedenheit. Diese Menschen haben im Vergleich zu den Reichen und Superreichen den kleinsten ökologischen Fussabdruck. Wenn sie den Eindruck haben, dass sie bei der Wärmewende noch einmal draufzahlen müssen, ist es schwierig für eine Regierung, solche Gesetz durchzusetzen.
Hat die grüne Politik in Deutschland die Arbeiterinnen und Arbeiter verloren?
Zu erheblichen Teilen hat sie das. Allerdings ist auch in der Arbeiterschaft klar, dass man den menschengemachten Klimawandel bekämpfen muss. Diese Notwendigkeit wird nicht bestritten. Die positive Wirtschaftsentwicklung vor der Pandemie hat aber überhaupt nicht dazu geführt, dass alle gleich viel vom Kuchen abbekommen. Es herrschte gerade im Osten das Gefühl vor, etwas erreicht zu haben. Dass man gewissermassen am Fusse des Berges der Gerechtigkeit steht und vielleicht schon ein Stück hochgekommen ist.
In dieser Gefühlslage bedroht die sozial-ökologische Transformation die Bereiche, die zu diesem wirtschaftlichen Aufschwung beigetragen haben: nämlich die Automobil-, Zuliefer-, Pharma-, Chemieindustrie und so weiter. Das führt dazu, dass mit diesem Wandel eher Negatives verbunden wird. Man glaubt, dass man seinen hart erarbeiteten Status nicht halten kann – und das schafft grosse Verunsicherung.
Von dieser Verunsicherung kann die rechte bis rechtsextreme AfD profitieren.
In der Tat. Sie schafft es, Oben-Unten-Konflikte umzudefinieren: nämlich in Konflikte zwischen Innen und Aussen. Demnach haben ausschliesslich die deutschen Staatsbürgerinnen und Staatsbürger Anspruch auf das Volksvermögen. Die AfD stellt hier einen Konflikt her mit den Menschen, «die wir nicht gerufen haben».
Man muss ökologische und soziale Nachhaltigkeit verbinden.
Sie macht sich ein verbreitetes Gefühl der Ungerechtigkeit zunutze und radikalisiert es. Dabei hat sie selbst nicht die geringsten Lösungsansätze gegen den Klimawandel. Und das ist der Schlüssel dazu, um die radikale Rechte erfolgreich zu bekämpfen: Man muss ökologische und soziale Nachhaltigkeit verbinden.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.