Russland ist eine Öl-Grossmacht – und ist deshalb auch stark vom Ölpreis abhängig. Der kremlkritische Moskauer Ökonom Andrej Mowtschan rechnet vor, dass jeder Dollar des Ölpreises Russland rund ein Viertel Prozent Wirtschaftsleistung bringt. Wenn der Ölpreis um vier Dollar steigt, steigt das russische Bruttoinlandprodukt BIP um ein Prozent.
Ölpreis und Pandemie stellen Russland vor Probleme
Doch die Rechnung gilt auch, wenn der Ölpreis sinkt: «Das russische Öl ist zurzeit etwa 30 Dollar billiger als vor der Coronakrise. So kommt man auf einen Wirtschaftseinbruch von rund sieben Prozent.»
Doch das ist nicht Russlands einziges Problem: Mit Pandemie-Massnahmen hat die Regierung grosse Teile des Landes seit Anfang April still gelegt. Doch Mowtschan glaubt, dass die Epidemie in Russland weniger verheerende Auswirkungen hat als in anderen Ländern.
Russlands Wirtschaft wird vom Staat dominiert
In Russland sei der Anteil kleiner und mittlerer Unternehmen am BIP deutlich kleiner als in Europa: «Diejenigen Bereiche der Wirtschaft, die vom Coronavirus vor allem betroffen sind – die Gastronomie zum Beispiel – spielen in Russland keine so grosse Rolle.»
Diejenigen Bereiche der Wirtschaft, die vom Coronavirus am meisten betroffen sind, spielen in Russland keine so grosse Rolle.
Dominiert wird die russische Wirtschaft von einem starken staatlichen Sektor. Rund zwei Drittel der Beschäftigten würden entweder für den Staat oder für staatsnahe Grosskonzerne arbeiten. Dazu kommen staatliche Zuwendungen für zum Beispiel Pensionierte: «All diese Leute spüren die Krise bis jetzt nicht besonders – denn der Staat zahlt ja weiterhin.»
Mowtschan bezeichnet die russische Wirtschaft spöttisch als «Lebensmittelmarken-Wirtschaft»: «Wir verkaufen Öl, drucken Rubel als Lebensmittelmarken und verteilen diese ans Volk. Eine solche Wirtschaft ist in Krisen wie jetzt verhältnismässig standfest.»
Russland soll nicht vom Ausland abhängig werden
Für die Massen entstehe so allerdings kaum Wohlstand. Im Gegenteil: Viele Russinnen und Russen leben in Armut. Doch aus Sicht des Staates funktioniert das System – auch weil der Kreml angesichts der Krise von 1998 vorgesorgt hat, als Russland vorübergehend zahlungsunfähig war.
Putin betrachte dies als grosse Gefahr für seine Macht. Der Kreml habe nun umgerechnet über 500 Milliarden Franken auf die hohe Kante gelegt. Russland soll dank der Staatskasse nie von ausländischen Geldgebern abhängig werden.
Bescheidene Unterstützungsmassnahmen
Die Leitidee von Putins Politik ist die totale Souveränität Russlands – auch finanziell. Deswegen wird dieses Geld selbst jetzt in der Coronakrise nur vorsichtig für Unterstützungsmassnahmen ausgegeben.
Putin ist überzeugt davon, dass er bis an sein Lebensende regieren wird.
Putin müsse denn auch kaum Rücksicht nehmen auf die Stimmung in der Bevölkerung, sagt Mowtschan: «Westliche Politiker haben stets die Sorge, dass sie abgewählt werden. Putin ist dagegen überzeugt davon, dass er bis an sein Lebensende regieren wird.»
Es tönt paradox: Die russische Wirtschaft ist im weltweiten Vergleich wenig konkurrenzfähig, sie ist abhängig von einem einzigen Rohstoff – und der Staat dominiert derart, dass es private Unternehmen schwer haben. Dennoch scheint sie in der aktuellen Krise widerstandsfähiger als die komplexen Volkswirtschaften Europas?
Ein Hühnerei hat auch einen viel komplexeren Aufbau als ein Stein. Aber wenn man beides aus dem Fenster wirft, dann geht das Ei kaputt – der Stein nicht.
Andrej Mowtschan wundert das nicht – und zieht eine Vergleich heran: «Ein Hühnerei hat auch einen viel komplexeren Aufbau als ein Stein. Aber wenn man beides aus dem Fenster wirft, dann geht das Ei kaputt – der Stein nicht.»