Der frühere UNO-Generalsekretär und Friedensnobelpreisträger Kofi Annan ist im Alter von 80 Jahren in einem Spital in Bern gestorben. Alt Bundesrat Adolf Ogi kannte Annan seit vielen Jahren persönlich. Annan hat Ogi als Sonderberater zur UNO geholt, aber die beiden verband auch eine persönliche Freundschaft.
Er hat mit seiner Ruhe versucht, eine bessere, friedliche Welt aufzubauen. Das ist ihm vielleicht nicht gelungen, aber er hat es tagtäglich versucht.
SRF News: Was verliert die Welt – aus Ihrer Sicht – mit seinem Tod?
Adolf Ogi: Kofi Annan war ein ausserordentlicher Mensch, weil er durch seine Liebenswürdigkeit, durch seinen Anstand und sein Charisma der Welt sehr viel gegeben hat. Er hat mit seiner Ruhe versucht, eine bessere, friedliche Welt aufzubauen. Das ist ihm vielleicht nicht gelungen, aber er hat es tagtäglich versucht. Deshalb verlieren wir in ihm einen Menschen, der das Gute im Menschen suchte. Und das Gute an Menschen weitergeben wollte.
Sie haben ihn sehr gut gekannt. Was verlieren Sie persönlich?
Ich verliere einen Chef, der mir eine Chance gegeben hat, einen Freund, der mir in meinen schwierigen Zeiten beigestanden ist. Ich verliere eine Persönlichkeit, die mir viel gegeben hat und von der ich viel lernen konnte.
Wie ist es eigentlich zu diesem engen Verhältnis gekommen?
Im Jahr 2000 waren wir eine Woche rund um Kandersteg wandern. Wir haben endlose Gespräche geführt. Ich habe gar nicht realisiert, dass er mich in dieser Zeit getestet hat. Als er sich am Ende der Woche verabschiedete, sagte er mir, wenn ich einmal als Bundesrat zurücktrete, solle ich ein Zeitfenster für ihn offen lassen. Ich habe nicht nachgefragt.
Später haben Sie es dann erfahren.
Als ich im Oktober 2000 demissioniert habe, hat er mich zu einem Mittagessen in Genf eingeladen. Auf seine Frage, was ich jetzt tun werde, antwortete ich, dass ich mich im Januar und Februar erholen müsse. Ich war wirklich sehr müde. Er sagte, ich solle nichts annehmen, ohne vorher mit ihm zu sprechen. Im Februar kam dann ein Telefon aus Washington: «Dolfi, ich würde dich gerne als meinen Vertreter für den Sport in Zusammenhang mit Frieden und Entwicklung anstellen.» Er beauftragte mich, nach Anchorage (Alaska) zu reisen, zu den Special Olympics, den Spielen der Familie Kennedy. Dort sollte ich ihn vertreten. Danach sollte ich nach New York kommen und das Pflichtenheft entgegennehmen. Ich habe nicht nach den Bedingungen oder dem Salär gefragt. Von diesem Moment an habe ich für ihn gearbeitet. Ich werde das nie vergessen. Ich durfte in seinem Namen für die Armen dieser Welt tätig sein.
Die Schweiz hat vielleicht wegen des Vertrauens in Kofi Annan Ja zum UNO-Beitritt gesagt.
Bei der Abstimmung der Schweiz über einen UNO-Beitritt hat er Sie offenbar angerufen.
Das stimmt. Zuerst möchte ich festhalten: Die Schweiz hat vielleicht wegen des Vertrauens in Kofi Annan Ja gesagt. Er hat mich am Tag der Abstimmung angerufen und fürchtete, die Schweiz würde Nein stimmen. Ich beruhigte ihn. Kandersteg hatte schon Ja gesagt. Wie Kandersteg abstimmt, wird auch die Schweiz abstimmen. Ich war sehr erleichtert, als gegen 17 Uhr die Hochrechnung kam, dass die Schweiz Ja gesagt hat. Aber er kannte ja Kandersteg, er war sehr glücklich, und ich auch.
Gibt es ein Erlebnis, das Ihnen am meisten in Erinnerung bleibt?
Es ist die ganze Palette, der ganze Umgang mit ihm. Seine Freundlichkeit, die Aufmerksamkeit. In erster Linie aber, wie er mich getröstet hat, als ich meinen Sohn Mathias verloren habe. Er hat mir gesagt, in Afrika finde die Bestattung sehr rasch nach dem Tod statt. Da sei man sehr, sehr traurig. Wenn die Beerdigung vorbei ist, solle man die schönen Momente mit dem Verstorbenen abrufen. Wie einen Film. Das hat mir sehr geholfen.
Das Gespräch führte Samuel Wyss.