- Der Generalstaatsanwalt des obersten Gerichtshofs der Türkei will die prokurdische Oppositionspartei HDP auf dem Klageweg vom Verfassungsgericht verbieten lassen.
- Eine entsprechende Anklageschrift sei eingereicht worden, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu.
- Die Regierung unter Staatspräsident Recep Tayipp Erdogan veranlasst die Enthebung der Immunität von HDP-Abgeordneten, um die Anklagen zu vollziehen.
Zur Begründung hiess es unter anderem, Grundrechte und Freiheiten dürften laut Verfassung nicht dazu missbraucht werden, «die unteilbare Integrität des Staates mit seinem Land und Volk zu zerstören und zu untergraben».
Mitglieder der HDP hätten Terrorverbindungen und mit ihren Aussagen und Taten wider die demokratischen und universellen Rechtsregeln gehandelt.
HDP schon lange im Visier der Regierung
Die türkische Führung übt seit langem Druck auf die prokurdische Partei aus. Das zeigt sich auch daran, dass viele Mitglieder der Partei in türkischen Gefängnissen sitzen. Der ehemalige Co-Vorsitzende der Partei, Selahattin Demirtas, ist seit 2016 inhaftiert.
Erst vor wenigen Wochen wurden erneut zahlreiche Mitglieder unter Terrorvorwürfen festgenommen und seit den Kommunalwahlen von 2019 wurde ein Grossteil der ursprünglich 67 HDP-Bürgermeister abgesetzt. Üblicherweise setzt die AKP-Regierung Zwangsverwalter aus den eigenen Reihen ein.
Vorwürfe der AKP sind nicht neu
Erdogan wirft der HDP vor, der verlängerte Arm der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Die HDP weist das zurück. Dieser Vorwurf fand auch in der nun eingereichten Anklageschrift. Die PKK gilt in der Türkei, Europa und den USA als Terrororganisation.
Ohne mit der HDP abzurechnen, können wir nicht sagen, dass wir mit der PKK aufgeräumt, sie vernichtet und ausgerottet haben.
Die HDP warf der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP vor, die Justiz von sich abhängig und parteiisch gemacht zu haben und diese als Schlagstock zu nutzen, um die Politik zu formen. Die Klage zur Schliessung der Partei sei ein schwerer Schlag für Recht und Demokratie des Landes, hiess es in einer Erklärung der Vorsitzenden Pervin Buldan und Mithat Sancar.
Auch der Chef der ultranationalistischen MHP, Devlet Bahceli, agitiert immer wieder gegen die Partei. Im Februar etwa sagte er: «Ohne mit der HDP abzurechnen, können wir nicht sagen, dass wir mit der PKK aufgeräumt, sie vernichtet und ausgerottet haben. Mit diesem Ruf ist die Auflösung der HDP unentbehrlich». Die MHP steht in einem Wahlbündnis mit der islamisch-konservativen AKP Erdogans.
Erst Immunitäten entzogen, dann angezeigt
Die HDP, die 2012 gegründet wurde, ist mit nun noch 55 Sitzen die zweitgrösste Oppositionspartei in der Türkei – nach der kemalistischen und sozialdemokratischen CHP-Partei. In der aktuellen Legislaturperiode wurde nach Parteiangaben drei HDP-Abgeordneten das Mandat aberkannt.
So auch dem HDP-Politiker Ömer Faruk Gergerlioglu. Ihm wurde kurz vor den Verfahren das Mandat als Parlamentsabgeordneter entzogen. Dies stiess auf scharfe Kritik. HDP-Abgeordnete reagierten mit Protestrufen und weigerten sich, das Parlament zu verlassen. Ob der Politiker nun ins Gefängnis muss, war zunächst unklar.
Den Weg zur Aufhebung der Immunität Gergerlioglus ebnete die Bestätigung einer zweieinhalbjährigen Haftstrafe wegen Terrorpropaganda im Februar. Hintergrund war ein Tweet aus dem Jahr 2016.