Darum geht es: In gut drei Wochen hätten die Palästinenser die ersten Parlamentswahlen seit 15 Jahren abhalten sollen. Gewählt worden wäre in den selbstverwalteten Gebieten im Westjordanland und im Gaza-Streifen. Doch am Vortag des Wahlkampfauftakts verschob Präsident Mahmud Abbas die Wahl auf unbestimmte Zeit.
Die Begründung: Als Grund gab Abbas an, es müsse zuerst mit Israel geklärt werden, ob und wie die 150'000 stimmberechtigten Palästinenserinnen und Palästinenser in Ost-Jerusalem an der Wahl teilnehmen können. Israel erlaube ihnen nicht, zu wählen. Das stimmt nicht, denn Israel hat noch nicht entschieden. Bereits bei den Parlamentswahlen von 2006 kam die Zusage in letzter Minute. Doch das schien Abbas nicht zu interessieren. Auch gab es bereits Vorbereitungen, dass die palästinensischen Einwohner von Ost-Jerusalem in den Vororten Jerusalems wählen, sozusagen jenseits der israelischen Sperrmauer.
Der wahre Grund: So herrscht die weit verbreitete Meinung, dass die Angst des 85-jährigen Autokraten Abbas vor einer Wahlschlappe gegen die radikal-islamistische Hamas der wahre Grund für die Verschiebung ist. Die Umfragen legen nahe, dass viele Palästinenser Abbas bei den Parlamentswahlen abgestraft hätten. Gleiches befürchtete er bei den späteren Präsidentschaftswahlen.
Die Ausgangslage die Fatah-Partei: Die Absage löste heftige Reaktionen aus. Von den 36 Parteilisten, die für die Wahlen aufgestellt waren, sind deren 25 eindeutig gegen eine Verschiebung. 29 der 36 Listen sind zudem unabhängige Listen. Auch innerhalb der Fatah-Fraktion von Abbas bildeten sich neue Fronten, die nach so langer Zeit einen politischen Aufbruch fordern. Sie traten neben der offiziellen Fatah-Liste mit zwei eigenen Listen an, die Abbas gefährlich werden konnten.
In den letzten Wochen wurde zudem sehr deutlich, dass die grosse Mehrheit der Palästinenser Abbas ablehnt. Vor allem auch die Erstwählerinnen und -wähler, welche die Korruption in der palästinensischen Führung wie auch den autoritären Führungsstil von Abbas verurteilen.
Die Stärke der Hamas-Partei: Die letzten Wahlen von 2006 hat die radikal-islamische Hamas gewonnen. Wie sie nun angesichts der vielen neuen Gruppierungen abgeschnitten hätte, bleibt offen. Gemäss Umfragen liegt die Hamas bei 32 Prozent, die Fatah bei 17 Prozent. Auf 13.9 Prozent kommt die Partei von Mohammed Dahlan, einem internen Herausforderer von Abbas.
Die Hamas – als zweitgrösste Palästinensergruppe nach der gemässigteren Fatah – kritisierte die Verschiebung am heftigsten. Gemeinsam mit anderen Gruppen protestierte sie auf mehreren Kundgebungen im Gaza-Streifen, den sie seit den letzten Wahlen von 2006 und nach einem blutigen Streit mit der Fatah beherrscht.
Das Fazit: Mit der Verschiebung löst Abbas gleich zwei Probleme. Er verhindert einen erneuten Sieg der Hamas wie 2006, den er genauso wenig akzeptierte wie Israel, die USA und andere Staaten der internationalen Gemeinschaft. Denn für sie ist die Hamas eine Terrororganisation.
Zudem kann er der Abspaltung in der Fatah entgegentreten. Beliebtester Kandidat ist Marwan Baghouti. Er führte ab 2000 die blutigen Aufstände der zweiten Intifada gegen Israel an, sitzt wegen Mordes eine fünffach lebenslange Haftstrafe ab und wird von grossen Teilen der Bevölkerung als Held verehrt. Ohne Wahlen bleibt Abbas die Blamage erspart, weniger populär als ein verurteilter Terrorist zu sein.