- Bei der Parlamentswahl in Schottland hat die regierende Pro-Unabhängigkeitspartei SNP einen deutlichen Sieg erzielt, die absolute Mehrheit von 65 Sitzen aber knapp verfehlt.
- Die Partei von Regierungschefin Nicola Sturgeon kommt künftig auf 64 Sitze, wie die Wahlkommission in Edinburgh mitteilt.
- Da aber die Grünen, die ebenfalls für die Loslösung vom Vereinigten Königreich eintreten, 8 Mandate erhalten, haben die Unabhängigkeitsbefürworter eine deutliche Mehrheit.
«Es ist der Wille des Landes», erklärte Sturgeon am Samstagabend. «Die einzigen Menschen, die über die Zukunft Schottlands entscheiden können, sind die Schotten.» Für die SNP ist es der vierte Wahlsieg in Schottland in Folge, im Vergleich zur vorigen Abstimmung 2016 konnte sie drei zusätzliche Direktmandate erobern.
«Absolut niemand hätte das Ausmass und die Rekordhöhe unseres Sieges bei dieser Wahl vorhergesagt», sagte so Sturgeon. Die Diskussion um ein neues Unabhängigkeitsreferendum ist entbrannt. Die Regierungschefin kündigte bereits zuvor an, eine Volksabstimmung voranzutreiben, falls es im Parlament eine Mehrheit für die Unabhängigkeit gibt und «die Zeit reif ist».
Sturgeon setzt britische Regierung unter Druck
Boris Johnson lehnte ein Referendum in der Zeitung «Daily Telegraph» hingegen als «unverantwortlich und rücksichtslos» ab. Sturgeon erneuerte ihre Forderung, dass die britische Regierung einem Unabhängigkeitsreferendum zustimmen müsse.
Premierminister Boris Johnson drohe ein «Kampf mit den demokratischen Wünschen des schottischen Volkes», wenn er versuche, eine Abstimmung zu blockieren, sagte Sturgeon. Weiter an Johnson gerichtet sagte sie: «Sie werden keinen Erfolg haben. Die einzigen Menschen, die über die Zukunft Schottlands entscheiden können, sind die Schotten.»
Sturgeon: «Brexit hat Ausangslage verändert»
Die Regierung in London muss – so die allgemeine Rechtsauffassung – einem Referendum über eine Loslösung Schottlands vom Vereinigten Königreich zustimmen. Bei einer ersten Abstimmung 2014 hatten sich 55 Prozent der Schotten gegen die Unabhängigkeit ausgesprochen. Sturgeon betont aber, durch den Brexit, den die Schotten abgelehnt hatten, habe sich die Ausgangslage verändert.
Boris Johnson ist nicht irgendeine Art Lehensherr von Schottland.
Dass die SNP die absolute Mehrheit wohl verpasst, spiele Johnson in die Hände, sagten britische Medien voraus. Hingegen betonen die SNP sowie parteinahe Experten, dass nicht das SNP-Ergebnis allein entscheidend sei. «Boris Johnson ist nicht irgendeine Art Lehensherr von Schottland», sagte Vize-Regierungschef John Swinney. Wichtig sei vielmehr eine Mehrheit im Parlament.
Referendum bis 2023 angepeilt
Dominierendes Wahlkampfthema war die Unabhängigkeit gewesen. Wahlexperte John Curtice beobachtete taktische Abstimmungen in mehreren Wahlkreisen: Dort hätten Anhänger einer Union mit Grossbritannien oft nicht für ihre eigentliche Partei gestimmt, sondern für den Vertreter der Unabhängigkeitsgegner mit der grössten Siegeschance. Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 63 Prozent so hoch wie nie zuvor. Vielerorts gab es lange Schlangen vor Wahllokalen.
Möglicherweise entscheidet schliesslich der Oberste Gerichtshof über ein Referendum. Sturgeon sagte dem Sender Channel 4: «Wenn Boris Johnson das stoppen will, muss er vor Gericht gehen.» Die SNP peilt ein Referendum bis Ende 2023 an.