Die Regierung der ehemaligen Sowjetrepublik Moldawien verfolgt einen pro-westlichen Kurs, das Land ist EU-Beitrittskandidat. Jetzt berichten deutsche Medien von einem Strategiepapier aus dem Kreml, gemäss dem prorussische Strömungen im Land gefördert werden sollen, damit das Land näher an Moskau rückt. Die Politologin Nadja Douglas kennt die Hintergründe.
SRF News: Welche Massnahmen sieht das Kreml-Papier zur Destabilisierung Moldawiens vor?
Nadja Douglas: Es geht um militärische und politische Einflussnahme, auch via die abtrünnige Region Transnistrien. Weiter geht es um die Verbreitung der russischen Sprache und Kultur sowie um eine stärkere wirtschaftliche Anbindung Moldawiens an Russland, sprich: Moldawien soll wirtschaftlich abhängig werden von Moskau.
Das Papier stammt aus dem Jahr 2021 – wie viel davon lässt sich bereits in der Realität beobachten?
Ich würde eher darauf schauen, welche Faktoren nicht mehr gegeben sind: So ist etwa die wirtschaftliche Anbindung Moldawiens an Russland schwächer als vor zwei Jahren. Denn Moldawien versucht, seine Agrarprodukte in andere Länder zu exportieren.
Für Moskau wird es schwieriger, seinen Einfluss in Moldawien auszubauen.
Ausserdem bezieht das Land sein Gas inzwischen nicht mehr aus Russland. Auch wurde den extremsten prorussischen Propagandasendern in Moldawien die Lizenz entzogen. Es wird also schwieriger für Moskau, seinen Einfluss in Moldawien auszubauen.
Wie ist denn die Stimmung in der Bevölkerung?
Sie ist gespalten. In den letzten Jahren war jeweils in etwa die Hälfte der Menschen für eine Anbindung an den Westen, die andere für ein Näherrücken an Russland. Im Zuge des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine hat sich die Tendenz eher in Richtung Westen verschoben. Die Bevölkerung zeigt sich sehr solidarisch mit dem angegriffenen Nachbarland; Moldawien hat rund eine halbe Million Ukrainerinnen aufgenommen.
Ist der jetzt geleakte Geheimplan aus dem Kreml also nicht aufgegangen?
Das kann man wohl nicht definitiv so sagen. Russland und seine Geheimdienste werden ihre Destabilisierungsbemühungen in Moldawien weiterführen – doch in der Tendenz wird sich das Land eher am Westen und an der EU orientieren. Allerdings ist nach wie vor ein erheblicher Teil der Bevölkerung nach Russland orientiert.
Was bedeutet die aktuelle Entwicklung für Transnistrien?
Die abtrünnige Republik Transnistrien ist in einer sehr schwierigen Lage – sie ist eingeklemmt zwischen den beiden EU-Kandidaten Ukraine und Moldawien. Die Regierung versucht, sich möglichst neutral zu verhalten, auch wenn sie weiter abhängig ist von Moskau – denn schliesslich verdankt sie ihre Existenz Russland.
Es sieht danach aus, dass Moskau versucht, die Lage via Transnistrien zu destabilisieren.
Seit Beginn des Ukraine-Kriegs ist es in Transnistrien zu mehreren Bombenanschlägen gekommen, ausserdem gab es Gerüchte, die Ukraine habe den Republik-Präsidenten ermorden wollen. Es sieht aber eher danach aus, dass da Moskau die Finger im Spiel hatte und versucht, die Lage via Transnistrien zu destabilisieren.
Ähnliche Pläne wie für Moldawien hat Moskau in Belarus bereits weit vorangetrieben, auch in Georgien gibt es Unruhen. Sehen Sie in all diesen Vorkommnissen einen Zusammenhang?
Auch wenn es Parallelen gibt, herrschen in jedem der Länder andere Verhältnisse. Doch man kann immerhin sagen, dass Moskau versucht, den Einfluss in den ehemaligen Sowjetrepubliken und deren Abhängigkeit vom Kreml zu verstärken oder aufrechtzuerhalten. Dazu gehören auch Kasachstan oder Armenien.
Das Gespräch führte Simone Hulliger.