Man würde ja gerne schreiben, die Sonne sei heute Morgen über einer veränderten polnischen Hauptstadt aufgegangen. Aber erstens scheint sie nicht – wie so oft im Warschauer Oktober. Und zweitens gebärden sich hier nur die Tauben aufgeregt.
Die Frau, die am Rand der backsteinernen Markthalle Pilze verkauft, verjagt die Vögel. Über die Parlamentswahlen vom Sonntag will sie nicht reden. Sie muss ständig schauen, dass die Polizei sie nicht erwischt, denn ihren Klapptisch hat sie illegal aufgestellt.
Hohe Wahlbeteiligung
Das sind die Markthallen Hala Mirowska: Arme Leute kommen hierher und verkaufen, was sie im Wald gefunden haben. In ganz Polen zählen die Wahlhelfer immer noch Stimmen. Es sind so viele Menschen wählen gegangen wie noch nie, seitdem das Land demokratisch ist.
Der Gemüsehändler Michal zählt stattdessen Geld. Auch er musste am Sonntag in der Schlange warten, bevor er wählen konnte. Und er denkt, es wäre eine Tragödie, sollten ab jetzt wirklich die liberalen bis linken Regierungsgegner das Land regieren und die konservative Regierung Geschichte sein.
Nach acht Jahren konservativer Regierung erscheint das Michal allerdings so unwahrscheinlich wie Sonnenschein im Warschauer Oktober. «Die Regierungsgegner bringen doch keine Koalition zustande», ist er sich sicher.
PiS-Propaganda ist angekommen
Und wenn doch, dann teilten sie sich die Ukraine zusammen mit Russlands Putin auf und dann liessen sie so viele Ausländer rein, dass es hier bald aussehe wie in Frankreich. Genau das hatte die polnische PiS-Regierung während des Wahlkampfs behauptet.
Ich will hier keine schwarzen Gesichter sehen, die arbeiten nicht.
Ältere Frauen mit pinken Wollmützen gehen vorbei, und auch ein Mann, der aussieht, als käme er aus Indien. Am Stand mit den Blumen arbeitet Janina. Sie sagt es noch deutlicher als Michal: «Ich will hier keine schwarzen Gesichter sehen, die arbeiten nicht.»
Janina hat ebenfalls die Konservativen der bisherigen Regierung gewählt. Denn die Liberalen hätten ihr nie Geld gegeben, als sie an der Macht gewesen seien.
Glückliches Gesicht am Bio-Stand
Auch drinnen in der Markthalle gibt es viel Pflanzliches zu kaufen, aber hier steht Bio drauf, es ist schick verpackt und kostet ein Vielfaches. Auch das ist Warschau, auch das sind die Hala Mirowska.
Hinter der Kasse im Bioladen steht Agata. Die junge Frau ist die Einzige, die heute Morgen nicht müde aussieht. Sie sieht sogar glücklich aus.
Hier gibt es Leute, die anders denken?
«Ich freue mich natürlich sehr, dass die Regierungsgegner an die Macht kommen könnten», sagt sie. Sie hoffe bloss, dass es dabei bleibe, wenn alle Stimmen ausgezählt sind. Und Agata hofft noch viel mehr, dass alles besser wird. Zum Beispiel, dass junge Frauen wie sie in Zukunft in Polen abtreiben dürfen.
Agata kennt niemanden, der die konservative Regierung noch gut findet. Auf den Hinweis, die Gemüse- und Blumenverkäufer nur ein paar hundert Meter entfernt hätten die Konservativen gewählt, kann sie das kaum glauben: «Hier gibt es Leute, die anders denken?»
Die Menschen in Polen – sie leben in zwei verschiedenen Welten.