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Kriminologe Feltes: «Es gibt ein Problem mit der Aufarbeitung»
Aus SRF 4 News aktuell vom 19.08.2020. Bild: Keystone
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Polizeigewalt in Deutschland Kriminologe: «Polizei hat kein strukturelles Gewaltproblem»

In Deutschland wird intensiv über Polizeigewalt diskutiert. Auslöser dafür sind Videos aus Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf, die zeigen, wie mehrere Polizisten einzelne Personen verhaften. Dabei haben sie Gewalt angewendet, die Techniken erinnern an das Vorgehen von Beamten in den USA. Für den Kriminologen Thomas Feltes hat die deutsche Polizei ein Problem mit der Aufarbeitung von Gewaltexzessen.

Thomas Feltes

Kriminologe

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Feltes war von 2002 bis 2019 Inhaber des Lehrstuhls für Kriminologie, Kriminalpolitik und Polizeiwissenschaft an der Juristischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum.

SRF News: Wie beurteilen Sie das Vorgehen der Polizisten in den Videos?

Thomas Feltes: Seit einigen Wochen und Monaten häufen sich leider Vorkommnisse, in denen durch Handyvideos gezeigt wird, dass die Polizei offensichtlich bestimmte Grenzen überschreitet. Das ist immer sehr subjektiv, weil solche Videos nur einen Ausschnitt dokumentieren. Aber sie geben Anlass darüber nachzudenken, ob das Handeln der Polizei tatsächlich so rechtlich in Ordnung ist, wie es sein sollte.

Handelt es sich um Einzelfälle oder hat die deutsche Polizei ein strukturelles Gewaltproblem?

Die deutsche Polizei hat kein strukturelles Gewaltproblem. Sie hat ein strukturelles Problem mit Fehlern umzugehen, die in Einsätzen gemacht werden. Es mangelt an Transparenz und an Aufarbeitung. Vor allen Dingen fehlt eine externe Stelle, um diese Dinge unabhängig aufzuarbeiten. Es werden überall Fehler gemacht. In allen Polizeien weltweit wird die Gewaltgrenze überschritten. Entscheidend ist, wie man damit umgeht und wie dies aufgearbeitet wird.

Was ist das Problem beim aktuellen Vorgehen?

Wenn Polizeibeamte quasi gegen Kolleginnen und Kollegen ermitteln, ist die notwendige Unabhängigkeit für ein Strafverfahren nicht gewährleistet. Diese ist auch dann nicht gewährleistet, wenn die Staatsanwaltschaft tätig wird. Diese ist von der Zusammenarbeit mit der Polizei abhängig. Solche Beziehungen wirken sich natürlich auf die Ermittlungen aus.

«Probleme mit Polizeigewalt sind gut belegt»

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Nach einem umstrittenen Polizeieinsatz in der Düsseldorfer Altstadt am Wochenende geht die Diskussion um die Verhältnismässigkeit und die Kontrolle von Polizeieinsätzen weiter. Ein Video des Einsatzes zeigt einen Polizisten, wie er einen 15-Jährigen mit dem Knie im Hals- und Kopfbereich fixiert.

Der Jugendliche soll einen Einsatz gestört und die Beamten angegriffen haben. Gegen den Polizisten wird wegen des Anfangsverdachts der Körperverletzung im Amt ermittelt. Gegen den 15-Jährigen laufen Ermittlungen wegen Beleidigung, tätlichen Angriffs und Widerstand gegen die Staatsgewalt.

Peter Hild, freischaffender Reporter für den WDR, hat den Düsseldorfer Fall eng begleitet. Für ihn erhalten die neusten Gewaltvideos zu Recht Aufmerksamkeit: «Es ist gut belegt, dass es in Deutschland Probleme mit Polizeigewalt gibt. Allerdings tauchen diese Fälle oft nicht in den offiziellen Statistiken auf.»

Die Diskussion komme aber nur schwer in Gang, weil berechtigte Kritik häufig mit dem Vorwurf unterbunden werde, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen. «Das Problem ist auch, dass es bei der Polizei und der Justiz eine Art Wagenburgmentalität gibt», so Hild. Man frage nicht grundsätzlich, ob rassistisch motivierte Gewalt möglich sei, sondern gehe davon aus, dass diese schlicht nicht existiere.

«Dazu kommt, dass die Polizei sich auch zunehmenden Angriffen gegen sich selber ausgesetzt sieht.» Deswegen müsse man sich auch konsequenter wehren, sagt zum Beispiel das Bundeskriminalamt.

Es gibt gute Vorbilder im Ausland, wo unabhängige Stellen diese Ermittlungen übernehmen. Das hilft letztendlich auch der Polizei. Auch dort gibt es Beamtinnen und Beamte, die etwas zur Anzeige bringen möchten. Sie trauen sich aber nicht, weil sie Angst vor internen Repressalien haben.

Die Polizeigewerkschaften üben im Moment eine sehr unrühmliche Rolle aus. Sie versuchen permanent, das Handeln ihrer Mitglieder zu verteidigen.

Glauben Sie, dass sich nach den auf Video dokumentierten Fällen von Polizeigewalt etwas ändert?

Diese Fälle sind nur beispielhaft und nur wurden nur medial aufgenommen, weil es dazu Videos gibt. Es gibt viele andere Fälle, in denen vor allem auch psychisch gestörte Personen Opfer von Polizeigewalt werden – und auch dabei getötet werden. Ich denke, dass die Polizei umdenken muss und auch umdenken wird. Man wird versuchen, mehr Transparenz zu schaffen und die Führungskultur zu verändern.

In Hamburg wollte die Polizeigewerkschaft nach dem Vorfall nichts von Polizeigewalt wissen. Die betroffene Polizeistelle sagte, dass bei der Festnahme Gewalt erforderlich gewesen sei.

Die Polizeigewerkschaften üben im Moment eine sehr unrühmliche Rolle aus. Sie versuchen permanent, das Handeln ihrer Mitglieder zu verteidigen. Das ist unangemessen. Auch, weil es viele Beamte in der Polizei gibt, die das anders sehen. Dass alles in Ordnung gewesen ist, ist ein voreiliger Schluss. Man sollte die Dinge in Ruhe und vor allen Dingen transparent ermitteln. Wenn möglich, soll man das Ganze auch durch ein Gericht untersuchen lassen. Das würde jeden Verdacht auf Beeinflussung oder Vorurteile aufheben.

Das Gespräch führte Manuel Ramirez.

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Journalist Hild: «Polizeigewalt ist kein neues Phänomen»
aus SRF 4 News aktuell vom 19.08.2020. Bild: Keystone/Symbolbild
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SRF 4 News, 19.08.2020, 11:20 Uhr ; 

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