Der Tod des Afroamerikaners George Floyd durch Polizeigewalt in Minneapolis hat auch in Europa Proteste zur Folge. In Paris etwa gingen am Dienstag rund 20'000 Menschen auf die Strasse. Und das trotz Versammlungsverbot wegen des Coronavirus.
Die Proteste drehten sich aber auch um einen Fall von Polizeigewalt in Frankreich vor vier Jahren. Dieser zeige frappante Parallelen zum Fall Floyd, sagt SRF-Mitarbeiter Rudolf Balmer in Paris.
SRF News: Wieso bringt ein Fall von Polizeigewalt, der schon vier Jahre zurückliegt, die Menschen in Paris gerade jetzt auf die Strasse?
Rudolf Balmer: Die Ähnlichkeit des Falles Floyd in Minneapolis zum Fall von Adama Traoré in einer Pariser Vorstadt ist frappant. Er starb vor vier Jahren unter sehr verdächtigen Umständen. Gegen die vier beteiligten Polizisten wurde zur Empörung der Angehörigen kein Strafverfahren eingeleitet.
Es gibt eine frappante Ähnlichkeit der beiden Fälle Floyd und Traoré.
Jetzt ist ein neuer Autopsiebericht bekannt geworden. Er beschreibt ein gewaltsames Vorgehen und ähnliche Methoden wie im Fall Floyd, die beim Tod von Traroré eine Rolle gespielt hätten. Deshalb kam es zu der Protestaktion am Dienstagabend vor dem Pariser Gerichtsgebäude. Sie wurde zugleich zur Solidaritätskundgebung für Floyd.
Zwischen den Fällen Traoré und Floyd gibt es also Parallelen?
Eindeutig. Auch der 24-jährige Traoré starb bei der Festnahme – unter analogen Umständen wie Floyd. Drei der Polizisten sollen ihn zu Boden gedrückt haben, worauf Traoré gesagt habe, er könne nicht atmen. Der offizielle Bericht sprach die Beamten von jedem Verdacht frei. Traoré sei an Herzversagen gestorben, hiess es. Der neue Autopsiebericht nennt jetzt aber als Todesursache Ersticken. Im Gegensatz zum Fall Floyd existiert aber kein Video des Vorfalls.
Die Jugendlichen in den Banlieues hassen die Polizei, weil sie sich von ihr pauschal verdächtigt fühlen.
Polizeigewalt gegen Farbige ist vor allem in Frankreichs Vorstädten ein Problem. Wieso gerade dort?
In den Banlieues gibt es permanente Spannungen und Konflikte. Die Jugendlichen hassen die Polizei, weil sie sich von ihr pauschal verdächtigt fühlen. In der Tat werden viel mehr farbige Jugendliche von der Polizei kontrolliert als weisse. Auch geht die Polizei – sie wird in den Vorstädten als feindliche Bande betrachtet – nicht gerade zimperlich gegen die Jugendlichen vor, die meist ethnischen Minderheiten angehören.
Die französische Polizei ist bekannt dafür, dass sie rigide eingreifen darf und das auch tut. Wird das nicht hinterfragt?
Diese Diskussion wird durchaus geführt. Doch die Polizei hat ein doppeltes Problem: einerseits mit der ethnischen Diskriminierung, andererseits mit von oben tolerierten Gewalt – vor allem bei Einsätzen gegen Demonstranten. Da werden Kampfmethoden und Rüstungsmaterial wie Granaten und Hartgummi-Geschosse von der Polizei eingesetzt, die in der Schweiz nicht zulässig wären. So wurden während der «Gilet Jaunes»-Proteste 2018/19 rund 2000 Personen verletzt, 24 von ihnen verloren ein Auge, fünf eine Hand.
Während der «Gilet Jaunes»-Proteste wurden 2000 Personen verletzt – 24 von ihnen verloren ein Auge, fünf eine Hand.
2005 eskalierte die Gewalt in den Banlieues. Ist die Lage heute auch so explosiv wie damals?
Wer weiss das schon genau. Für die Regierenden bleibt 2005 sicher ein abschreckendes Beispiel. Damals gingen die Unruhen nach dem Tod zweier Jugendlicher los, die von Polizisten verfolgt wurden. Die Zusammenstösse und Strassenschlachten breiteten sich sehr rasch aus. Seit damals weiss man, dass die Banlieues ein Pulverfass sind und dass es ein Problem gibt mit dem Verhältnis der Polizei zu einem Teil der Bevölkerung.
Das Gespräch führte Salvador Atasoy.