In acht Tagen ist in den USA Wahltag. SRF-Korrespondentin Isabelle Jacobi empfindet die letzten Tage vor der Entscheidung als spannungsgeladen.
SRF News: Erleben Sie die Stimmung in den USA als angespannt?
Isabelle Jacobi: Ja, enorm. Zu Gewaltausbrüchen ist es zum Glück nicht mehr gekommen. Ich würde dies aber nicht als Entspannung deuten, sondern eher als gespannte Erwartung.
Die Republikaner haben 50’000 Wahlbeobachter rekrutiert, die an neuralgische Orte geschickt werden. Bisher verhinderte so etwas ein Verbot aus den 1980er-Jahren. Dies nachdem damals die Republikanische Partei in New Jersey sogenannte Sicherheitskräfte an die Urnen schickte, um schwarze Wählende einzuschüchtern. Vor zwei Jahren wurde dieses Verbot durch ein Gericht aufgehoben.
Die Demokraten befürchten nun, dass sich 2020 etwas Ähnliches wiederholt wie in den 1980er-Jahren, aber an mehreren Schauplätzen.
In jedem Bundesstaat gibt es Milizen, zum Teil schwer bewaffnet. Sie kennen den Kommandanten einer Miliz. Sind diese Leute zum Äussersten bereit?
Ja, ich kenne den Kommandanten der Bürgerwehr, der in Charlottesville bei dieser Neonazi-Demonstration im Sommer 2017 das Kommando hatte. Ich hatte seither regelmässig Kontakt mit ihm. Das letzte Mal habe ich ihn im Mai interviewt. Er wirkte ziemlich radikalisiert, fast besessen von der Idee, dass die Antifa in den USA eine Revolution plant und dass es Patrioten wie ihn brauche, um die USA vor den Linksradikalen zu schützen.
Woran erkennt man die tiefen Gräben in der Gesellschaft?
Die USA driften politisch seit Jahrzehnten auseinander. Es ist ein Megatrend, der zahlreiche Gründe hat. Zwei davon sind diese: Unter Präsident Bill Clinton begann sich ein aggressiver politischer Aktivismus der Rechtskonservativen zu formieren. Quasi als Reaktion darauf formierte sich auch die Linke. Beide Lager sind auf maximalen Konflikt aus und haben die Parteien nach rechts oder nach links getrieben.
Immer mehr Bürger und Bürgerinnen konsumieren immer extremere und abstrusere Informationenen.
Zweitens spielen die Medien eine grosse Rolle. In den 1990er-Jahren waren es die konservativen Talk-Radios, nachher die 24-Stunden-News auf CNN und Fox. Heute haben wir die sozialen Medien mit ihren Echokammern. Immer mehr Bürger und Bürgerinnen konsumieren immer extremere und abstrusere Informationen. Sie werden richtiggehend aufgehetzt.
In einer allfälligen zweiten Amtszeit müsste Präsident Trump keinen Wahlkampf mehr betreiben. Könnte er die Gesellschaft nach einer Wiederwahl zusammenzubringen?
Ja, natürlich könnte er das, denn seine Basis hört mit fast religiösem Eifer auf ihn. Aber es gibt keine Anzeichen, dass Präsident Trump in irgendeiner Weise an überparteilicher Minne interessiert ist.
Trumps Erfolg fusst auf der Zerrissenheit der Amerikaner und Amerikanerinnen.
Im Gegenteil: Trump ist ein Populist mit demagogischen Zügen und feuert den Konflikt an, wo er nur kann. Sein politischer Erfolg fusst auf der Zerrissenheit der Amerikaner und Amerikanerinnen. Trump ist sich dessen sehr wohl bewusst. Er bewirtschaftet die Zerrissenheit im Land.
Wird die Überwindung der Zerrissenheit eine Herkulesaufgabe, egal für wen?
Ja, wahrscheinlich kommt es eher zu einer Vertiefung des Konflikts. Es kann gut sein, dass der Protest nach einer Wahl von Biden auf die Strasse geht. Man muss sich fragen, was die schwer bewaffneten Bürgerwehren bei diesem angeheizten Klima mit dieser reisserischen Rhetorik machen werden. Natürlich fragt man sich auch, wie sich ein Ex-Präsident Trump verhalten würde. Er hat eine Bürgerbewegung geschaffen, die nach dem Wahltag – wie er auch ausgehen wird – nicht verschwinden wird.
Das Gespräch führte Roger Aebli.