Die Demokraten witterten Morgenluft, damals im Sommer 2024, als ein Papier unter dem Namen «Project 2025» die Runde zu machen beging. «Project 2025», das war eine Art Blaupause zur Umgestaltung der amerikanischen Regierungstätigkeit der ultrakonservativen rechten Denkfabrik «Heritage Foundation».
Im Kern geht es darum, die Macht deutlich von Bürokratie und Institutionen weg zu verlagern, hin zum Präsidenten. «Mandate for Leadership» heisst das Programm, der Untertitel: «The Conservative Promise». Auf 887 Seiten werden darin konservative Ideen dargelegt, über jedes einzelne Politikfeld, von Verteidigung über Bildung und Handel bis zu Medienpolitik.
Für die Demokraten fühlte sich das Werk an wie ein Wahlkampf-Geschenk: Viele der darin skizzierten Vorstellungen mussten bei einer Mehrheit der Amerikanerinnen und Amerikaner auf breite Ablehnung stossen, dachten sie. Und weil Umfragen das zu bestätigen schienen, tat Donald Trump das, was er häufig tut in solchen Situationen: Er stritt ab. Er stritt ab, von «Project 2025» überhaupt eine Ahnung zu haben. Er stritt ab, die Macher dahinter zu kennen – obwohl mehrere der Autoren in der ersten Trump-Präsidentschaft gedient hatten. Die Warnungen der Demokraten verpufften.
«Executive Orders» direkt aus «Project 2025»
Doch wer die bisherigen «Executive Orders» von Donald Trump genau anschaut, stösst überall auf «Project 2025». 37-mal fand das Magazin «Politico» eine direkte Linie zwischen «Project 2025» und Trumps präsidialen Verfügungen, teilweise bis hin zu direktem Wortlaut. So schlägt «Mandate for Leadership» beispielsweise vor, die freie Schulwahl voranzutreiben: «Advancing education freedom» heisst es in Kapitel 11. Trumps «Executive Order» ans Erziehungsministerium lautet genau so: «Expanding Educational Freedom And Opportunity For Families».
Thomas Zimmer ist Professor für Geschichte an der renommierten Georgetown Universität in Washington und hat sich intensiv mit «Project 2025» auseinandergesetzt: «Zweifellos spielt ‹Project 2025› eine grosse Rolle bei dem, was jetzt passiert», sagt Zimmer.
«Vor allem die ‹Executive Orders›, die die Ministerien anweisen, Massnahmen gegen die Diskriminierung auf der Grundlage von Rasse oder Geschlecht einfach nicht mehr umzusetzen, stammen direkt aus ‹Project 2025›. Genauso wie die sehr aggressive Deregulierung im Umwelt- und Klimaschutz», sagt Zimmer. In der Tat geht es der «Heritage Foundation» in vielen Teilen darum, die Politik von Joe Biden so schnell wie möglich umzukehren.
Nicht nur «Project 2025»
Doch Zimmer sieht in Trumps Anordnungsfülle nicht nur die Kräfte der ultrakonservativen Denkfabrik «Heritage Foundation» am Werk. «Nebst ‹Project 2025› gibt es vor allem zwei Fraktionen, die in der trumpistischen Rechten das Sagen haben: zum einen die ‹America-First›-Nativisten um Stephen Miller, den stellvertretenden Stabschef im Weissen Haus, und dann die Tech-Milliardäre aus dem Silicon Valley, für die Elon Musk steht.»
Während die «America-First»-Nativisten hinter den Massendeportationen und der Abschaffung des US-Bürgerrechts durch Geburt stehen, sorgt Elon Musk mit seinem sogenannten «Departement of Government Efficiency» für grosse Aufregung. Seitdem Musks Leute sich am vergangenen Wochenende Zugang zu tausenden von Personaldaten der gesamten US-Verwaltung sowie des zentralen Zahlungssystems des US-Finanzministeriums verschafft haben, laufen die zuvor wie gelähmt erscheinenden Demokraten Sturm.
Besonders der demokratische Abgeordnete von Maryland, Jamie Raskin wurde deutlich: «Ich weiss nicht, was die Beweggründe oder die Absichten von Elon Musk sind. Aber sie haben nichts mit dem zu tun, was vom Volk der Vereinigten Staaten von Amerika durch den Kongress der Vereinigten Staaten rechtmässig verabschiedet wurde», rief Raskin einer aufgebrachten Menge vor dem Hauptquartier der US-Entwicklungshilfe USAID zu.
Keine verfassungsrechtliche Grundlage
Geschichtsprofessor Zimmer hält sich mit seinem Urteil nicht zurück: «Die USA befinden sich zweifellos in einer Verfassungskrise», sagt er. «Elon Musk hat überhaupt keine verfassungsrechtliche Grundlage für das, was er da tut. Musk ist weder nominiert noch vom Senat für irgendeine Regierungsposition bestätigt», so Zimmer.
Damit werden die Spielregeln grundlegend verändert.
«Aber er hat einfach unter Berufung auf Donald Trump seine Leute angewiesen, ins Finanzministerium und andere Behörden zu marschieren, und sich die Macht über die Computersysteme dieser Verwaltungsapparate zu verschaffen.» Für Zimmer ist das genauso illegal wie für Raskin und die anderen Demokraten.
«Hier geht es nicht einfach um einen Wechsel der Politik. Hier wird die politische Ordnung selber umgebaut», so Zimmer. Es ist das, was sowohl Musk als auch «Project 2025» offen propagieren: dass die Macht verschoben werden muss, weg vom Verwaltungsapparat und den Institutionen, hin zum Präsidenten.
Doch damit, so Zimmer, werde die Macht auch weniger kontrollierbar: «Damit werden die Spielregeln, wer eigentlich Macht ausüben darf, und wer Macht kontrollieren darf, grundlegend verändert.»
Endspiel vor den Gerichten
Es ist offensichtlich: Donald Trump testet in diesen ersten Amtswochen exzessiv die Grenzen seiner Macht. Er versucht, sie auszuweiten. Nur so, ist er überzeugt, kann er seine Politik durchsetzen. Die politische Opposition hat dem in den nächsten zwei Jahren und bis zu den Zwischenwahlen wenig entgegenzusetzen. Sowohl im Senat als auch im Repräsentantenhaus haben die Republikaner jeweils eine (knappe) Mehrheit, und innerhalb dieser knappen Mehrheiten dominieren die Trumpisten.
Bleiben zur Einhegung der präsidentiellen Macht momentan nur die Gerichte. Mehrere von Trumps Erlassen sind von Richtern bereits gestoppt worden, jedoch nur vorübergehend. Am Ende werden mehrere dieser Verfahren unweigerlich vor dem Obersten Gerichtshof landen. Es wird in dessen Händen liegen, wie weit er zulässt, dass Donald Trump die politische Ordnung der USA umbaut.