Freunde von Spionagethrillern leben in goldenen Zeiten. Selten erhalten sie derartige Einblicke in das klandestine Geschäft der Schlapphüte. Vor fünf Jahren wurde mit dem NSA-Skandal publik, wie westliche Geheimdienste ein Abhör- und Spionagenetz um die Welt gespannt haben. Spätestens seit den US-Präsidentschaftswahlen 2016 wurde ruchbar, mit welchen Mitteln auch die Russen im Cyberkrieg des 21. Jahrhunderts agieren.
In diesem Jahr liess der mutmassliche Giftanschlag auf den russischen Ex-Spion Sergej Skripal aufhorchen: Rächte sich Moskaus mächtiger Geheimdienstapparat am abtrünnigen Doppelagenten, den Kreml-Chef Putin diese Woche als «Dreckskerl» bezeichnet hat?
Gestern nun die orchestrierte Medienoffensive Grossbritanniens und der Niederlande. Sie werfen dem russischen Militärgeheimdienst GRU vor, hinter den grossen Cyberattacken der letzten Jahre zu stecken. Den Haag und London wollen das Vorgehen russischer Spione künftig öffentlich machen; andere westliche Staaten wie Australien wollen sich anschliessen.
Erinnerungen an den Kalten Krieg
Hat der Westen Russland damit den «Informationskrieg» erklärt? Erich Schmidt-Eenboom ist Geheimdienstexperte – und als Kenner vergangener Propagandaschlachten quittiert er die Frage mit einem Schulterzucken: «Wir haben diesen Informationskrieg schon. Was wir derzeit erleben, ist nur die Spitze des Eisbergs.»
Denn auch der Westen rüstet nachrichtendienstlich auf. Schmidt-Eenboom illustriert das am Beispiel Deutschlands. Schon im letzten Jahr habe es eine Weisung an den Bundesnachrichtendienst (BND) gegeben, die russischen Propagandaaktivitäten in Deutschland und Europa ins Visier zu nehmen.
Zudem habe der BND Anfang dieses Jahres «nach Jahren der Enthaltsamkeit» wieder ein 50-köpfiges Referat zur Gegenspionage gegen die russischen Dienste aufgebaut. Schliesslich würden die Bundeswehr und die Nato ihre Kapazitäten für Cyberabwehr und Gegenangriffe «nachhaltig aufbauen».
Im Kalten Krieg gab es noch keine Attacken, wie sie im Internet-Zeitalter möglich sind.
«Das ist nichts weiter als eine Neuauflage der Propagandaschlachten des Kalten Krieges», sagt Schmidt-Eenboom zum aktuellen Kräftemessen der Geheimdienste. Schon damals seien Spione enttarnt und ausgewiesen worden, und schon damals sei versucht worden, den aggressiven Charakter der russischen Aussenpolitik öffentlich zu machen.
Von Geheimdienstlern gelenkter Kreml
Mit Moskau treffen die westlichen Nachrichtendienste allerdings auf einen Gegenspieler mit beträchtlicher «Arbeitserfahrung». Der Geheimdienst-Experte gibt ein Beispiel, wie meisterhaft der Kreml schon vor Jahrzehnten auf der Klaviatur des Informationskrieges spielte: «Die insbesondere in Afrika erfolgreichste Propaganda-Aktion des KGB war, dass der Aids-Virus einem amerikanischen Biowaffenlabor entsprungen sei.»
Im Vergleich mit früheren Propagandaschlachten sieht der Geheimdienstexperte allerdings einen technologischen Quantensprung: «Im Kalten Krieg gab es noch keine Attacken, wie sie im Internet-Zeitalter möglich sind. Wir befinden uns fast in einer Phase, in der ein neuer kalter Krieg in einen lauwarmen übergeht.»
Und dieser lauwarme Krieg wird mit beachtlichem Personalaufwand betrieben. Insbesondere von russischer Seite, ist Schmidt-Eenboom überzeugt. Denn Moskaus «aggressive Aussenpolitik» sei wesentlich bestimmt vom nachrichtendienstlichen Apparat. Demnach stammten 50 Prozent des Führungspersonals im Kreml aus den Nachrichtendiensten: «Sie haben eine Agenda, die Russland wieder zur Grossmacht machen will.»
Zu dieser Agenda gehöre, einen Keil zwischen Europa und die USA zu treiben und Zentrifugalkräfte in Europa, also die Rechtspopulisten, zu stärken: «Schliesslich instrumentalisiert man mafiöse Strukturen nachrichtendienstlich.» Dazu gehöre etwa die Tschetschenen-Mafia in Deutschland oder russisch-spanische Mafia an der Costa del Sol.
Derzeit gewinnt man den Eindruck, dass sowohl der Westen wie auch Russland munter an der Eskalationsschraube drehen. Gibt es auch einen Weg zurück? Die Lehre aus dem Kalten Krieg ist ernüchternd: «Damals gelang das erst mit dem Niedergang der Sowjetunion. Bis zuletzt gab es grosse Propagandaaktionen des KGB.»
Letztlich könne man aus der nachrichtendienstlichen Auseinandersetzung nur herausfinden, wenn es auf der politischen Ebene eine Entspannung gebe. «Das zeichnet sich aber nicht ab», sagt Schmidt-Enboom.