Im Sudan dauern die landesweiten Protesten gegen den autoritären Langzeitpräsidenten Omar al-Baschir an. Nun droht die Lage in der Hauptstadt Khartum zu eskalieren. Für Afrika-Korrespondentin Anna Lemmenmeier haben die jetzigen Proteste eine neue Dimension erreicht.
SRF News: Was lässt sich Gesichertes über die derzeitige Lage im Sudan sagen?
Anna Lemmenmeier: Über das Wochenende haben sich Tausende in Khartum vor den Armee-Hauptquartieren an einem Sitzstreik beteiligt. Das ist eine Gegend, in die die Protestierenden bis jetzt nicht hatten vordringen können.
Die Sudanesen haben gesehen, dass man einen Langzeitherrscher mit Strassenprotesten entfernen kann.
Der Sicherheitsdienst versuchte, die Demonstrierenden mit Tränengas und Schüssen zu vertreiben. Aber Teile des Militärs haben sich auf die Seite der Protestierenden geschlagen. Seit den frühen Morgenstunden sind in Khartum vielerorts Schüsse zu hören.
Wie ist es zu interpretieren, dass gewisse Militärs die Protestierenden unterstützen?
Die Frage ist, ob das Soldaten sind, die sich aus der Kommandokette gelöst und bloss mit den Demonstrierenden solidarisiert haben. Oder ob sich tatsächlich ein signifikanter Teil des Militärs von Baschir losgesagt hat.
Seit Ende 2018 gibt es fast täglich landesweite Proteste. Haben die jetzigen Proteste eine neue Dimension?
Ja. Zum einen weil jetzt viel mehr Leute an den Protesten teilgenommen haben. Das hat wohl auch mit den jüngsten Entwicklungen in Algerien zu tun. Die Sudanesen haben gesehen, dass man einen Langzeitherrscher mit Strassenprotesten entfernen kann. Zum anderen hat sich die Sudanese Professional Association, also die Gewerkschaftsgruppierung und Organisatorin der Proteste, eingeschaltet.
Sie fordern das Militär auf, die Protestierenden zu unterstützen. Und eine weitere Dimension haben wir auch, weil offensichtlich Teile des Militärs sich auf die Seite der Protestierenden geschlagen haben.
Ist das der Anfang vom Ende von Langzeitpräsident Omar al-Baschir?
Baschir ist enorm unter Druck. Vor ein paar Wochen hat er das Amt als Parteipräsident abgegeben. Das würde theoretisch den Weg ebnen für einen anderen Präsidenten an der Spitze des Staates. Ausschlaggebend wird sein, wie Baschir und seine Leute reagieren. Da gibt es drei Möglichkeiten: Entweder greift die Regierung hart durch und geht gegen die Demonstrierenden vor, das hat Baschir bis jetzt nämlich vermieden.
Internationale Journalisten werden nicht ins Land gelassen.
Es gab keine brutalen Niederschlagungen wie bei den Protesten 2013. Angesichts der Vielzahl an Teilnehmern wäre das jetzt ein Massaker. Die andere Möglichkeit ist, dass der Druck auf Baschir innerhalb des Regimes so gross ist, dass er zurücktreten muss. Oder aber es schreiten tatsächlich das Militär oder zumindest Teile davon ein. Das wäre nicht das erste Mal im Sudan.
Die Situation scheint unübersichtlich zu sein. Woher haben Sie Ihre Informationen?
Ich habe meine Quellen in Khartum, mit denen ich telefonisch oder per Whatsapp von Nairobi aus in Kontakt bin. Whatsapp kann per VPN erreicht werden, die sozialen Medien aber sind blockiert. Internationale Journalisten werden nicht ins Land gelassen; mein Visumsantrag hängt seit Wochen. Diese Situation macht die Sudanesen wütend. Sie fragen sich, wo die Berichterstattung bleibe. Für die Journalisten ist es aber schwierig, unter diesen Umständen zu gesicherten Informationen zu gelangen.
Das Gespräch führte Raphael Günther.