- Mehr als 100'000 Menschen haben trotz Warnungen von Polizei und Militär vor einem Demonstrationsverbot in Minsk gegen Machthaber Alexander Lukaschenko protestiert. «Hau ab!», skandierten die Menschen in Sprechchören auf dem Unabhängigkeitsplatz der Hauptstadt von Weissrussland.
- Anschliessend gab es einen friedlichen Protestzug durch Minsk – unter scharfer Beobachtung von Uniformierten. Die Polizei warnte in Lautsprecherdurchsagen immer wieder vor der Teilnahme an der ungenehmigten Kundgebung.
- Lukaschenko hatte vor zwei Wochen bei der umstrittenen Präsidentenwahl den Sieg für sich beansprucht.
Weil die Sicherheitskräfte viele Metrostationen sperrten, machten sich grosse Menschengruppen zu Fuss auf den Weg. Staatschef Lukaschenko hatte mit «hartem Durchgreifen» gedroht, um die Ex-Sowjetrepublik wieder zur Ruhe zu bringen. Allerdings war die Menge auf den Strassen so gross, dass die Polizei dem nichts entgegensetzen konnte. Einige oppositionelle Plattformen im Internet schätzten die Zahl auf 200'000 Menschen – etwa so viele wie am Sonntag vor einer Woche, als es zum ersten Mal überhaupt Proteste in dieser Grössenordnung gab. Sie gelten als historisch.
Falls es Störungen der Ordnung geben sollte, werden Sie es schon nicht mehr mit der Miliz zu tun bekommen, sondern mit der Armee.
Das Verteidigungsministerium warnte in einer Mitteilung: «Falls es Störungen der Ordnung oder Unruhen auf diesen Plätzen geben sollte, werden Sie es schon nicht mehr mit der Miliz zu tun bekommen, sondern mit der Armee.» Lukaschenko hatte immer wieder damit gedroht, notfalls auch die Armee zur Sicherung seiner Macht einzusetzen. Viele Bürger in Belarus betonen aber seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor «Europas letztem Diktator».
Auch in anderen Städten kommt es seit der umstrittenen Präsidentenwahl am 9. August täglich zu Protesten und Streiks in den Staatsbetrieben. Die von Vorwürfen beispiellosen Betrugs begleitete Präsidentenwahl hat die grösste innenpolitische Krise des Landes ausgelöst. Lukaschenko hatte sich nach 26 Jahren an der Macht mit 80 Prozent der Stimmen zum sechsten Mal in Folge zum Sieger der Präsidentenwahl erklären lassen.
«Die Durchführung von Massenveranstaltungen ist illegal, für die Teilnahme ist vorgesehen, Sie zur Verantwortung zu ziehen», teilte auch das Innenministerium mit. Generalmajor Iwan Kubrakow von der städtischen Miliz, wie die Polizei genannt wird, warnte in einer Videobotschaft, es bestehe die Gefahr einer Provokation. Die Menschen sollten sich fernhalten von dem Platz. Viele Bürger in Weissrussland, das auch Belarus genannt wird, betonen seit Wochen, dass sie keine Angst mehr hätten vor «Europas letztem Diktator».
Laut SRF-Korrespondentin Luzia Tschirky unterstellt das Verteidigungsministerium den Demonstranten zudem, sie würden unter derselben Flagge Aktionen durchführen, unter welcher einst die Nationalsozialisten gemordet hätten. Das sorgt im Netz für Gespött – schliesslich legte Lukaschenko unter genau dieser weiss-rot-weissen Flagge 1994 das erste Mal seinen Amtseid ab.
Die Opposition beansprucht den Wahlsieg für die 37 Jahre alte Fremdsprachenlehrerin Swetlana Tichanowskaja. Sie ist aus Angst um ihre Sicherheit und die ihrer Kinder in das EU-Nachbarland Litauen geflohen. Von dort aus versucht sie, die Bewegung mit Videobotschaften zu steuern. Die EU hat die Wahl nach den Fälschungsvorwürfen und der anschliessenden Polizeigewalt gegen friedliche Demonstranten nicht anerkannt. Länder wie Russland und China hingegen haben Lukaschenko zum Sieg gratuliert.