Darum geht es: In Russland beginnt am Montag der Hauptprozess gegen die Organisation des inhaftierten Oppositionspolitikers Alexej Nawalny. Nawalny hat seine Aktivitäten bisher über die Stiftung zur Bekämpfung von Korruption (FBK) organisiert. Nun wird ein Moskauer Gericht entscheiden, ob die Stiftung und regionale Gruppen als extremistisch eingestuft und somit verboten werden. Laut Staatsanwaltschaft destabilisieren Nawalny und seine Leute die politische Situation im Land und sie haben das Ziel, die verfassungsmässige Ordnung zu stürzen.
Welche Folgen hätte eine Verurteilung für die Organisationen? Die Stiftung und mit ihr affiliierte Strukturen würden unverzüglich aufgelöst, sämtliche Konten und Büros geschlossen. Faktisch ist das bereits der Fall. «Man hat den Eindruck, dem Staat konnte es nicht schnell genug gehen, Nawalnys Organisationen zu zerschlagen», sagt Russland-Korrespondent David Nauer. Die Staatsanwaltschaft hat bereits vor einiger Zeit sämtliche Aktivitäten der Nawalny-Leute provisorisch verboten. Sie dürfen momentan nicht einmal Sitzungen abhalten.
Welche Folgen hätte eine Verurteilung für die Menschen in den Organisationen? Für diese Leute wird es gefährlich. Kommt ein Gericht in Zukunft zum Schluss, dass jemand weiterhin für Nawalnys Organisationen arbeitet, drohen sechs Jahre Haft. Für Leute, denen man eine Führungsfunktion in den Organisationen nachweist, gar zehn Jahre. Russische Gerichte entscheiden bei solchen politischen Fällen im Zweifel meist gegen den Angeklagten.
Was würde das konkret für Aktivisten bedeuten? «Treffen sich ein paar Ex-Nawalny-Leute zum Bier und reden über Politik, dann kann das bereits als extremistische Versammlung beurteilt werden und Jahre hinter Gittern bedeuten», so David Nauer. Das Zeigen des Logos von Nawalnys Organisation wäre auch verboten – bei sozialen Medien gar rückwirkend. Wenn jemand auf Facebook oder Twitter vor fünf Jahren etwas mit dem Logo gepostet hat, könnte er oder sie dafür bestraft werden. Deswegen wird Aktivisten im Moment geraten, ihre Social-Media-Accounts auf potenziell gefährliches Material zu durchforsten.
Funktioniert die Repression? Der Druck wirkt. Letzte Woche hat der Nawalny-Vertraute Leonid Wolkow angekündigt, man wolle wegen der vielen Verhaftungen nur noch spontan zu Protesten aufrufen. Nawalny ist im Gefängnis und viele seiner engsten Vertrauten sind nicht mehr in der Lage, in Russland politisch aktiv zu sein. Die Aktivistinnen wollen nicht aufgeben. Einige haben angekündigt, Lokalpolitik ohne Verbindung direkt zu Nawalny zu machen. Ein harter Kern von Nawalny-Mitarbeitenden will sich in die Parlamentswahl vom September einmischen.
Welche Chancen hätte eine Klage? Eine Klage dürfte laut David Nauer aussichtslos sein, weil russische Gerichte in den vergangenen Monaten systematisch gegen Nawalny entschieden haben. Deshalb gebe es auch keinen Grund anzunehmen, dass das nun anders sein könnte.
Wie steht es um Nawalny persönlich? Zu Beginn seiner Haft gab es fast täglich Neuigkeiten aus dem Gefängnis. Nun ist es ruhiger geworden. Zuletzt hat er mitteilen lassen, er sei daran, seinen Hungerstreik abzubrechen. «Er esse immer wieder ein paar Löffel Brei, um seinen Körper langsam an Nahrung zu gewöhnen», sagt Nauer. «Politisch jedoch gab sich Nawalny ungebrochen und kämpferisch wie immer.»