Darum geht es: Bei einem Referendum haben die Kasachinnen und Kasachen dem Bau des ersten Atomkraftwerks des Landes mit offiziell 71 Prozent zugestimmt. Die Regierung von Präsident Kassym-Schomart Tokajew will mit dem Projekt die Stromversorgung sichern und klimaschädliche Kohlekraftwerke schrittweise abschaffen. Sie betont, eine zuverlässige Energieversorgung sei notwendig, um erneuerbare Quellen wie Solar- und Windenergie zu ergänzen. Da Kasachstan einer der weltgrössten Uranproduzenten ist, sei Kernenergie eine logische Wahl.
Brisanter Entscheid: In Kasachstans Steppe hatte die Sowjetunion über Jahre Hunderte Atomtests durchgeführt, weite Landstriche wurden nuklear verseucht. Ausserdem halfen Zehntausende Kasachen 1986 bei den Aufräumarbeiten nach der Atomkatastrophe in Tschernobyl und trugen lebenslange Gesundheitsprobleme davon. Beides trägt bei vielen Kasachen zu einem Misstrauen gegenüber jeglicher Nukleartechnik bei.
Durch Atomtests verseucht: Lange wussten die Menschen im Nordosten Kasachstans nicht, was auf dem «Schiessplatz» draussen in der Steppe vor sich ging. Der Grund für die regelmässigen Explosionen, die riesige Pilzwolken erzeugten, war in der UdSSR ein Staatsgeheimnis. Schon bald gab es in der Region mehr Leukämiekranke, mehr Kinder kamen mit Behinderungen zur Welt oder wurden tot geboren. Die Sowjets konnten die Atomtests und ihre Folgen nicht dauerhaft verbergen. In den 1980er-Jahren gelang es einer Bürgerbewegung, die Tests zu stoppen. Doch die Leute in der Region leiden bis heute unter den Spätfolgen.
Die Menschen in Kasachstan wollen Russland nicht die Kontrolle über die wichtigste Energiequelle im Land geben.
Auftrag geht ins Ausland: Wer nun das AKW bauen wird, ist nach Aussagen Tokajews noch offen. Es ist aber ein offenes Geheimnis, dass der russische Rosatom-Konzern auf den Auftrag hofft. Bei seiner Stimmabgabe sagte der Präsident auf eine entsprechende Frage: «Meine persönliche Vision ist, dass es ein internationales Konsortium geben müsste, bestehend aus globalen Unternehmen, die über die fortschrittlichsten Technologien verfügen.» Als Gegengewicht zu Russland setzt Kasachstan seit längerem auch auf engere Beziehungen etwa zu Europa.
Skeptisch gegenüber Russland: Kasachstan arbeitet wirtschaftlich eng mit Russland zusammen und exportiert beispielsweise viel Uran dorthin. «Deshalb ist es nicht grundsätzlich unvernünftig, für das AKW mit Russland zusammenzuarbeiten», so SRF-Russlandkorrespondent Calum MacKenzie. Aber viele Kasachinnen und Kasachen seien insbesondere seit dem Krieg in der Ukraine sehr misstrauisch gegenüber dem grossen Nachbarn. Deshalb seien sie besorgt, dass allenfalls Rosatom das AKW bauen könnte. Denn: «Die Menschen in Kasachstan wollen Russland nicht die Kontrolle über die wichtigste Energiequelle im Land geben.»