Es sind zähe Verhandlungen, die der Sozialist Pedro Sanchez aktuell führt, um weiterhin Regierungschef bleiben zu können. Denn im Zentrum steht eine höchst umstrittene Frage, nämlich wie man mit den Katalaninnen und Katalanen umgehen soll, die 2017 an der illegalen Unabhängigkeitsabstimmung beteiligt waren.
Die damaligen Vorfälle hätten den Zusammenhalt des Staates erschüttert, sagt die Politologin Berta Barbet Porta von der Universität Autonoma in Barcelona: «Viele Spanierinnen und Spanier sind noch immer beleidigt und wütend auf die separatistischen Kräfte und empfinden die Idee, ihnen nun zu vergeben, so zu tun, als sei nichts gewesen, als demütigend.»
Hunderte würden von Strafen befreit
Allerdings: Genau dies steht nun zur Diskussion. Denn will der sozialistische Premier Pedro Sanchez weiterregieren, ist er auf die Stimmen aller separatistischen Parteien angewiesen.
Und diese fordern eine Amnestie – also Straffreiheit – für die katalanischen Separatistinnen und Separatisten. Die bekannteste Person, die davon profitieren würde, ist Carles Puigdemont, der damalige Präsident Kataloniens, der vor der spanischen Justiz nach Belgien geflohen ist. Aber es geht bei weitem nicht nur um ihn, sondern um mehrere hundert weitere Involvierte: Beamte, Polizistinnen, Demonstranten.
Niemand kann bestreiten, dass die Situation in Katalonien unendlich viel besser ist als noch 2017.
Pedro Sanchez ist grundsätzlich bereit, auf sie zuzugehen. Er hat bereits in den letzten Jahren Begnadigungen ermöglicht und Gesetze so geändert, dass Angeklagte mit milderen Strafen rechnen können. Das habe sich bewährt, sagt er, die Situation in Katalonien sei inzwischen «unendlich viel besser als noch 2017». Sanchez sieht eine Amnestie als weiteren Schritt auf dem Weg zur Versöhnung.
Sanchez geht es nicht um Versöhnung, sondern nur darum, selber an der Macht zu bleiben.
Ganz anders sieht es Oppositionsführer Alberto Nunez Feijoo vom konservativen Partido Popular: Er wirft Sanchez vor, dass es ihm weder um Versöhnung noch um ein besseres Zusammenleben in Spanien gehe. Sondern nur darum, selbst an der Macht zu bleiben. Feijoo moniert, es widerspreche der Gleichbehandlung aller Bürgerinnen und Bürger, wenn eine Gruppe, die Straftaten begangen habe, einfach ungeschoren davonkomme.
Ob nun eine Ungerechtigkeit oder ein Schritt zur Versöhnung – noch wird die mögliche Amnestie in den Koalitionsverhandlungen diskutiert. Im Detail geht es etwa darum, wie sie begründet wird: Als Schlusspunkt unter eine illegale Aktion, wie es der linke Block um Premier Sanchez gerne sähe. Oder aber als erster Schritt auf dem Weg zu einer neuerlichen, diesmal legalen Abstimmung über die Unabhängigkeit, wie es das separatistische Lager möchte.
Wenn alle vernünftig wären, würden sie eine Regierung bilden.
Der Ausgang der Verhandlungen sei völlig offen, sagt Politologin Berta Barbet, und fügt an, dass beide Seiten grosses Interesse daran haben müssten, eine Einigung zu erzielen. «Wenn alle vernünftig wären, würden sie eine Regierung bilden. Denn es sieht nicht so aus, als ob irgendeine Partei von Neuwahlen profitieren könnte.»
Die Politologin geht davon aus, dass beide Seiten bis zum letzten Moment pokern werden, um möglichst viel herauszuholen. Sie haben noch bis zum 27. November Zeit. Hat Spanien bis dahin keine neue Regierung, wird im Januar erneut gewählt.