Die Rentenreform ist das grosse Prestigeprojekt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Der Plan ist jedoch höchst umstritten, sowohl im Volk als auch in der Nationalversammlung. Dies hat sich in den letzten zwei Wochen gezeigt. Noch immer ist kein Schlussentscheid in der Debatte gefallen. Stattdessen liefern sich die Opposition und die Regierung einen Schaukampf, bei dem auch vor persönlichen Angriffen nicht zurückgeschreckt wird.
Reform als Rettungsprogramm
Die Regierung präsentiert ihre Reform als Rettungsprogramm für das bestehende Rentensystem. Gemäss Gabriel Attal, Minister für staatliches Handeln und öffentliche Haushalte, ist alles andere eine Illusion. Die Renten sind nach seinen Ansichten bald nicht mehr finanzierbar und müssten ansonsten gesenkt werden.
In Wirklichkeit geht es um die Entscheidung zwischen dem Ego von Präsident Macron, der diese Rentenreform durchzwängen will, und dem Allgemeininteresse.
Weiter führt Attal aus, dass sich die Zahl der Rentnerinnen und Rentner innerhalb einer Generation praktisch verdoppelt hat. Deshalb hätten fast alle anderen europäischen Länder das Rentenalter erhöht.
Es gehe nicht ums Allgemeininteresse
«Diese Darstellung ist völlig übertrieben», kontert Mathilde Pano, die Fraktionschefin der Linken, die Aussagen von Attal. Selbst der nationale Expertenrat bezeichnet laut Pano die Prognosen der Regierung als übertrieben. Weiter kritisiert sie den Präsidenten direkt: «In Wirklichkeit geht es um die Entscheidung zwischen dem Ego von Präsident Macron, der diese Rentenreform durchzwängen will und dem Allgemeininteresse.» Das Ziel der Vorlage sei nicht ein Dienst am Volk, sondern die Autorität des Chefs solle gerettet werden.
Der Minister ist ein Lügner und ein Mörder.
Auch vor weiteren persönlichen Angriffen schreckte die grösste Fraktion im Linksbündnis, «La France insoumise», nicht zurück. Aurélien Saintoul warf Arbeitsminister Olivier Dussopt vor, er habe die Zahl der Arbeitsunfälle während der letzten Jahre heruntergespielt. Diese Unfälle nehmen gemäss Saintoul weiter zu, da die Arbeitsbelastung wegen des höheren Rentenalters wächst. Diese Tatsache verleitete Saintoul zur Aussage: «Der Minister ist ein Lügner und ein Mörder».
Solche persönlichen Angriffe werden nicht im gesamten Linksbündnis goutiert. Der Fraktionschef der Kommunisten bezeichnete die Rede als inakzeptabel. Die demokratische Debatte soll seiner Ansicht nach aus dem Austausch von Argumenten und nicht von Beleidigungen bestehen.
Kein Resultat nach der Debatte
Der Nationalversammlung wurde für die Lesung und Vorbereitung in der Kommission des ersten Vorschlags knapp drei Wochen Zeit gelassen. Es war zu wenig, wie sich herausgestellt hat. Die Abgeordneten stellten über 20'000 Änderungsanträge. Der grösste Teil stammte aus der Feder von «La France insoumise».
Ich bin jetzt zwei Wochen lang beleidigt worden, aber die Regierung wird nicht aufgeben.
Die Nationalversammlung schloss die erste Lesung der Rentenreform ab, ohne dass der umstrittenste Punkt überhaupt angesprochen worden wäre: die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre. «La France insoumise» verliess um Mitternacht den Saal und Olivier Dussopt rief hinterher: «Ich bin jetzt zwei Wochen lang beleidigt worden, aber die Regierung wird nicht aufgeben.»
Die Reihe ist nun am Senat, wo die Regierung auf mehr Rückhalt hoffen kann, da dort die konservativen Republikaner die Mehrheit haben. Später müssen die Kompromisse aber auch in der Nationalversammlung tragfähig sein.