In Belarus gab es landesweite Razzien bei Journalistinnen und Menschenrechtlern. Damit will die autoritäre Führung Weissrusslands beweisen, dass die Proteste der vergangenen Monate aus dem Ausland finanziert wurden. Doch das sei blosse Propaganda, sagt SRF-Russlandkorrespondent David Nauer.
SRF News: Was sind die Gründe für die Durchsuchungsaktionen vom Montag bei Journalisten und Menschenrechtlerinnen in Belarus?
David Nauer: Die Begründung von angeblichen Ermittlungen zur Finanzierung der Proteste ist bloss vorgeschoben. Das Regime von Machthaber Alexander Lukaschenko versucht, mit den Razzien und repressiven Massnahmen, sämtliche noch verbleibenden unabhängigen Strukturen im Land zu zerstören. Noch immer betreiben einige Journalisten unabhängige Internetportale, die frei berichten. Diese werden jetzt unter Druck gesetzt. Dasselbe geschieht mit der Menschenrechtsorganisation Wesna.
Wie erfolgreich ist die Repression des Regimes?
Das Regime hat im Moment die Oberhand. Es regiert die Strassen, wenn auch zu einem ungeheuerlichen Preis: In den letzten Monaten wurden weit mehr als 30'000 Menschen festgenommen. Einige waren bloss einige Stunden in Haft, andere mehrere Wochen. Zudem gibt es 250 politische Gefangene, die mit langen Gefängnisstrafen rechnen müssen.
Es herrscht ein Klima der Angst und des Terrors.
Inzwischen herrscht auf den Strassen ein Klima der Angst und des Terrors. Bis heute werden Menschen vom Fleck weg festgenommen, manchmal von maskierten Männern ohne Uniform. Mit Gewalt und Einschüchterung hat Lukaschenko die Strassen also zurückgewonnen.
Wochenlang war seit den Wahlen im letzten August demonstriert worden – gehen die Proteste jetzt weiter, wenn auch nicht mehr auf der Strasse?
Genau – die Form hat sich geändert. Jetzt wird nicht mehr in grossen, zentralen Demonstrationen in den Städten protestiert, die Opposition hat sich auf kleine, sehr mobile und spontane Aktionen spezialisiert.
Es wird eine Partisanentechnik angewendet.
Das können ein Dutzend Personen sein, die in einem Innenhof zusammenkommen oder im Wald. Es ist eine eigentliche Partisanentaktik, die jetzt angewendet wird. Damit versucht die Opposition den Widerstand zu führen, ohne dass die Teilnehmerinnen Opfer von Staatsrepression werden.
Wie steht es mit der politischen Opposition?
Ihre Strukturen sind inzwischen völlig zerstört worden. So sind etwa alle Mitglieder des nach den Wahlen gebildeten Übergangsrats entweder in Haft oder im Ausland. Doch gerade erst hat ein Polit-Analyst geschrieben, dass die Repression wie eine Eisschicht über dem Land liege – doch unter dem Eis gäre es. In der Tat organisieren sich die Leute lokal – in ihren Wohnhäusern, in Chat-Gruppen, im Internet, mittels kleiner Widerstandsaktionen. Das Regime hat zwar die Opposition ausgeschaltet und beherrscht die Strassen. Doch es hat die Unterstützung der meisten Bürgerinnen und Bürger verloren.
Das Gespräch führte Roger Aebli.