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Antibiotika-Firmen in Not
Aus Echo der Zeit vom 02.05.2019. Bild: Imago
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Resistente Keime Diskussion um Prämien für neue Antibiotika

Für Pharmafirmen ist die Entwicklung neuer Antibiotika zu wenig lukrativ. Braucht es Milliardenprämien, finanziert aus Steuergeldern?

Fast 300 Menschen sterben in der Schweiz jedes Jahr an einer Infektion, die nicht mit Antibiotika geheilt werden konnte. In ganz Europa sind es 33'000. In manchen Fällen kann das Antibiotika Plazomicin vom Hersteller Achaogen Rettung bringen. Doch nur zehn Monate nach der Zulassung des Medikaments musste die Firma Bankrott anmelden, weil sie zu wenig Umsatz machte.

Der Antibiotika-Experte Timothy Jinks ist alarmiert: «Die Pleite könnte eine Wende zum Schlimmsten bedeuten.» Der Antibiotika-Markt funktioniere überhaupt nicht mehr. Jinks arbeitet beim Wellcome-Trust – einer milliardenschweren britischen Stiftung, die biomedizinische Forschung finanziert – darunter auch Achaogen.

Antibiotika sind zu wenig lukrativ

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Die Pharmaindustrie zieht sich seit Jahren aus der Entwicklung von Antibiotika zurück – weil damit zu wenig Gewinn erzielt werden kann. Denn Antibiotika muss man nur über kurze Zeit einnehmen, nicht wie zum Beispiel Blutdrucksenker über Jahre. Dies senkt Umsatz und Profit. Deshalb unterstützen Stiftungen und Staatsregierungen Startups im Antibiotika-Bereich mit Millionen.

Einsatz möglichst nur in Notsituationen

Firmen, die ein neues Antibiotikum auf den Markt bringen, haben ein Problem: Weil das Medikament dann hilft, wenn andere Antibiotika versagen, sollen es die Ärzte nur in solchen Notsituationen einsetzen. Diese Praxis beugt der Resistenzbildung vor, kostet den Hersteller aber lebensnotwendigen Umsatz. Das Problem sei so gross, dass es nicht mehr genüge, nur die Forschung und Entwicklung zu fördern, so Jinks.

Es gebe deshalb den Vorschlag, eine Firma mit einer Prämie zu belohnen, wenn sie ein neues Antibiotikum auf den Markt bringt. Dabei geht es um grosse Summen: Eine Milliarde Franken wird genannt. Bezahlen müssten das Geld wohl staatliche Behörden. In Grossbritannien wird gegenwärtig über ein entsprechendes Gesetz diskutiert.

Milliardenprämien-Idee zu wenig ausgereift

Auch die Schweiz habe sich mit diesem Ansatz auseinandergesetzt, sagt Daniel Koch vom Bundesamt für Gesundheit (BAG). «Diese Diskussion ist noch lange nicht abgeschlossen.» Man wisse noch zu wenig über Wirkungen und Folgen, wenn quasi die Bürger über ihre Steuern solche Prämien für Pharmaunternehmen bezahlen müssten. «Diese Mechanismen sind noch zu unklar und zu wenig ausgereift.»

Es geht vor allem um die Bedingungen, die mit solchen Prämien verknüpft wären. Zum Beispiel fordern manche Experten, dass die betroffene Pharmafirma ihr neues Antibiotikum wirklich nur für Notfälle verkaufen dürfte. Doch gewisse Konzerne sehen dies anders, sagt der Mediziner Stephan Harbarth vom Unispital Genf. Er war in einer internationalen Arbeitsgruppe, die solche Fragen mit Regierungen und Pharmavertretern diskutiert hat.

So hätten grosse US-Pharmafirmen vehement opponiert und von «kubanischem Kommunismus» gesprochen. Für sie gehe die Verschreibungsfreiheit der Ärzte über alles. Doch es wäre nötig, gerade hier einzugreifen. Denn noch immer werden in vielen Ländern viel zu oft Antibiotika eingesetzt – was die Bildung von Resistenzen befeuert.

Fahrlässige Ärzte beim Antibiotika-Einsatz

Über Jahrzehnte hätten sich die Klinikärzte daran gewöhnt, dass von den Pharmafirmen stetig neue Antibiotika entwickelt wurden, welche auch sogenannte Superkeime besiegen können. «In Italien etwa denken die Ärzte, sie müssten sich deshalb nicht um die Prävention kümmern», so Habarth.

Sowohl Harbarth als auch Koch vom BAG fordern, dass es beide Ansätze braucht: Den sparsameren Umgang mit Antibiotika und Anreize für die Pharmaindustrie, neue Antibiotika zu entwickeln. Beides ist mittlerweile auf die Traktandenliste der G20-Staatengruppe vorgedrungen.

Bis zu einer Lösung – auch da sind sich die beiden Experten einig – wird es aber noch einige Zeit dauern.

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