Wer sich heute durch die sozialen Medien scrollt, kann seinen Augen nicht mehr trauen. In Zeiten der künstlichen Intelligenz verschwimmen Realität und Fiktion: Tiktok, Instagram und Co. sind voll von Clips, in denen auch die Mächtigen dieser Welt Dinge tun und sagen, die man ihnen niemals zutrauen würde.
Oder vielleicht doch? Zumindest im Fall von Donald Trump kommen Zweifel auf. Der amerikanische Präsident hat in den letzten Monaten so manches von sich gegeben, bei dem man instinktiv denkt: «Fake!». So zum Beispiel die Ankündigung, dass er den Gazastreifen zur «Riviera des Nahen Ostens» machen will – und die Palästinenser ihre Heimat «verlassen» sollen.
Nahostpolitik mit dem Vorschlaghammer
Die Aussage war allerdings keine Blüte der KI, sondern ein offenbar ernstgemeinter Plan zur Lösung des Nahostkonflikts. Nun doppelte der Republikaner auf bizarre Weise nach: Auf seinem sozialen Netzwerk «Truth Social» postete er ein KI-generiertes Video, das seine Vision von Gaza zeigen soll.
Eine Stimme besingt die glorreiche Zukunft Gazas, glitzernde Wolkenkratzer schiessen in den Himmel, an den Stränden regnet es Geld – und Elon Musk isst Fladenbrot mit Hummus. Über allem ragt eine riesige Goldstatue von Trump. Am Ende liegt er mit Netanjahu am Pool.
Das Video erschafft eine künstliche Welt, die so verstörend wie zynisch ist – und die dem US-Präsidenten offenbar gefällt. Die Herkunft des Videos ist unklar – es kursierte bereits, bevor es Trump gepostet hat.
Für einmal jubeln die Follower nicht
Erwartungsgemäss sorgt der Post des US-Präsidenten für einen Shitstorm im Netz. Erstaunlich ist, dass auch die Reaktionen von Trumps Followern tausendfach negativ ausfallen. Auf «Truth Social» verlangen viele von ihnen, dass er das Video löschen solle. Angesichts der Zerstörung und des Leids im Gazastreifen bezeichnen es manche User sogar als «krank». Andere verlangen, dass sich Trump bei den Palästinensern und den Menschen im Nahen Osten entschuldigen solle.
Dass die Reaktionen dort ähnlich ausfallen, verwundert ebenfalls nicht. «Das Video wirkt für die Palästinenserinnen und Palästinenser nicht nur zynisch», sagt SRF-Auslandredaktorin Susanne Brunner. «Einige äussern in ihren Posts auch die Angst, dass es Trump ernst damit meint, die palästinensische Bevölkerung aus dem Gazastreifen zu vertreiben.»
Was Trump heute sagt, gilt morgen vielleicht schon nicht mehr – oder erst recht.
Letzte Woche hat Trump seinen Gaza-Plan allerdings relativiert. Er wolle ihn niemandem aufzwingen, es handle sich lediglich um eine Empfehlung. Für die langjährige Nahostkorrespondentin passt das ins Bild eines erratischen US-Präsidenten: «Was Trump heute sagt, gilt morgen vielleicht schon nicht mehr – oder erst recht.»
Trumps Tabubruch
Ob es Trump ernst ist mit der «Riviera des Nahen Ostens» oder ob er bewusst Empörung schüren will, um die arabischen Staaten zum Handeln zu zwingen, kann kaum jemand mit Sicherheit sagen. Ebenso wenig, ob Trump damit die israelische Vision für Gaza zum Fliegen bringen will.
Mit seinen Aussagen habe Trump jedoch in krasser Weise Tabuthemen ausgesprochen, schätzt Brunner ein. «Nämlich, dass die israelischen Streitkräfte den Gazastreifen fast komplett zerstört haben und dass es keinen realistischen Plan gibt, wer den Gazastreifen wiederaufbauen könnte, solange die Hamas dort ein Machtfaktor ist.»