Als das russische Parlament jüngst über Dispensierungen für Familienväter bei einer neuen Mobilmachung diskutierte, stellte sich der Abgeordnete Andrej Kartapolow quer. Solche Ausnahmen dürfe es nicht geben, so Kartapolow, denn der Gesetzesvorschlag sei für den Fall eines grossen Kriegs geschrieben worden. Ein grosser Krieg liege bereits in der Luft, sagte Kartapolow, ein Mitglied der Putinpartei «Einiges Russland».
Kartapolows Aussagen wurden später von anderen kremlnahen Stimmen relativiert. Doch dass der russische Staat auf einen dauerhaften Kriegszustand getrimmt wird, scheint ausser Zweifel. Kartapolow und seine Ratskolleginnen haben die Altersgrenze für wehrpflichtige Männer angehoben und die Strafen für Dienstverweigerer verschärft. Zudem greift nun die elektronische Einberufung. Wer einberufen wird, erscheint in einem Online-Register und darf das Land nicht mehr verlassen. So will der Kreml eine neue Fluchtwelle vermeiden.
Ökonomie des Todes
Viele Russen ziehen aber weiterhin freiwillig in den Krieg, denn der Kreml hat den Armeedienst zu einer lukrativen Option gemacht. Der einst bescheidene Sold beträgt nun das Dreifache des russischen Durchschnittslohns. Fällt ein Soldat an der Front, kommen Entschädigungszahlungen hinzu, die ebenfalls erhöht worden sind. Ausserhalb der wohlhabenden Städte Russlands ist es inzwischen so, dass der Tod eines Soldaten seiner Familie oft mehr Geld einbringt, als wenn dieser als Zivilist bis zur Pensionierung weitergearbeitet hätte. So rechnet es der Ökonom Wladislaw Inosemzew vor. Er spricht daher von einer Ökonomie des Todes.
Auch andere Teile der russischen Wirtschaft dienen weitgehend nur noch dem Krieg gegen die Ukraine. Sie wächst, weil der Kreml seine Geldreserven in die Rüstungsindustrie pumpt. Der Bausektor boomt, unter anderem, weil in der besetzten Ostukraine Befestigungsanlagen gebaut und von Russland zerbombte Städte wiederhergestellt werden.
Diese Strategie ist zwar kaum nachhaltig. Russland investiert in Panzer, die in der Ukraine laufend zerstört werden. Dafür wird aber bei Bildung und Infrastruktur gespart, was es für das Regime umso gefährlicher macht, den Krieg zu beenden. Die Umorientierung zu einer Wirtschaft der Friedenszeit wäre schwierig und würde Zeit, Geld und womöglich auch politische Stabilität kosten.
Putin will den Willen des Westens brechen
Der Kreml hat weitere Gründe, einen permanenten Kriegszustand anzustreben. Putin hofft, dass der Westen und die Ukraine früher oder später einknicken und die Ziele der Invasion doch noch erreicht werden. Der Krieg dient als Rechtfertigung für die massiv verschärfte Repression, und mit der durch die Kriegswirtschaft bedingte Umverteilung und der Kriegspropaganda will Putin seine Macht festigen.
Noch gibt es keine konkreten Hinweise darauf, dass Russland einen Krieg gegen das Nato-Bündnis plant. Für viele Beobachterinnen und Beobachter sind Russlands Provokationen etwa gegen das Nato-Land Polen vorerst ein Versuch, den Willen des Westens, die Ukraine zu unterstützen, zu brechen. Was angesichts des kriegerischen Kurses des Kremls jedoch klar scheint: Putin selbst ist weit davon entfernt, den Angriff auf die Ukraine zu beenden.