Grossbritannien erlebte heute gleich zweifach einen besonderen Moment. Mit Schatzkanzlerin Rachel Reeves hat erstmals eine Frau den berühmten roten Koffer mit dem Finanzplan der britischen Regierung ins Parlament getragen. Und verkündete dabei Steuererhöhungen, wie sie das Vereinigte Königreich in der modernen Geschichte noch nie gesehen hat.
Die Hiobsbotschaft kam nicht aus heiterem Himmel. Bereits seit Tagen versuchte Premierminister Keir Starmer, das Publikum vorauseilend zu besänftigen.
Man kann den Schimmel im Haus mit Farbe überstreichen. Oder man entfernt das kaputte Mauerwerk und erstellt ein neues Fundament für die Zukunft.
Niemand wünsche sich höhere Steuern, aber alle die in einem Haus wohnten, das von Schimmel befallen sei, wüssten, dass es in einem solchen Fall zwei Möglichkeiten gebe: «Den Schimmel mit Farbe überstreichen. Oder man entfernt das kaputte Mauerwerk und erstellt ein neues Fundament für die Zukunft», umschrieb Starmer das Vorgehen seiner Regierung. «Wir sanieren unsere Finanzen, damit wir den Wiederaufbau unseres Landes finanzieren können.»
Die Notwendigkeit des Wiederaufbaus ist unbestritten. Mit riesigen Summen sollen der marode, staatliche Gesundheitsdienst, zerbröckelnde Schulhäuser und überfüllte Gefängnisse saniert werden.
An Dramatik liess es Reeves dabei nicht fehlen. Man habe in Downing Street nicht eine leere Staatskasse angetroffen, sondern ein riesiges schwarzes Loch. Gefüllt wird dieses nun mit Schulden, Sparmassnahmen und Steuern.
Viele Zahlen, viele Widersprüche
Arbeitgeber müssen für ihre Angestellten künftig höhere Sozialversicherungsabgaben bezahlen, Einkommen und Vermögenswerte im Ausland, die bisher von Steuern befreit waren, werden in Zukunft in Grossbritannien besteuert, Kapitalgewinnsteuern steigen. Neue Steuern werden auf Flügen mit Privatjets erhoben und Privatschulen sind künftig mehrwertsteuerpflichtig.
Die Finanzministerin jonglierte im Parlament nicht nur mit vielen Zahlen, sondern auch mit Widersprüchen. Denn ihre Steuererhöhungen kollidieren mit einem der grossen Wahlversprechen von Labour. Noch im Sommer versicherte Starmer der Wählerschaft: keine Steuererhöhungen für «working people».
Doch selbst, wenn nur Arbeitgeber höhere Sozialversicherungsbeiträge für ihre Angestellten bezahlen müssen, würden das am Ende alle zu spüren bekommen, erklärt Paul Johnson, der Direktor des Instituts für Steuerpolitik, gegenüber der BBC: «Wir wissen aufgrund unserer Untersuchungen, dass eine Erhöhung der Arbeitgeberbeiträge für die Sozialversicherung auch Auswirkungen auf die Angestellten hat.» Die Abgaben führten zu Mehrkosten, die irgendwo eingespart werden müssten: «Es gibt weniger Lohnerhöhungen und es werden weniger Leute eingestellt.»
Zu spüren bekommen die Britinnen und Briten auch die geplanten Sparmassnahmen. Eine Kürzung der staatlichen Subventionen für Busbetriebe beispielsweise tönt auf den ersten Blick nebensächlich. Doch Busse sind in Grossbritannien in ländlichen Gebieten immer noch das häufigste öffentliche Verkehrsmittel. Wenn die Tarife nun um einen Drittel steigen, hat das für «working people» durchaus Folgen.
Es ist nur eine von 497 Massnahmen, mit denen das schwarze Loch in der Staatskasse gefüllt werden soll. Bis sich der Staub gelegt hat und sich die Folgen dieses Budgets im Alltag manifestieren, wird es noch einige Tage dauern. Ab eines ist bereits klar: Der neue Finanzplan der britischen Regierung ist nicht nur historisch, sondern auch schmerzhaft.